Familien im Asylverfahren

Das Recht auf Familienleben ist ein fundamentales Menschenrecht. In der Schweiz besteht eine Familie asylrechtlich aus den Eltern und den minderjährigen Kindern. Wir setzen uns dafür ein, den Familienbegriff zu erweitern, um den Zugang zu Familienzusammenführungen für Schutzbedürftige zu erleichtern und dass Familien in der Schweiz während des Asylverfahrens angemessen untergebracht sind.

Besonderer Schutzbedarf

Das Recht auf Familie wird durch verschiedene internationale und regionale Menschenrechtsverträge garantiert. Familien können durch die Flucht eines Familienmitglieds oder während der Flucht getrennt werden. Die Trennung von der eigenen Familie bedeutet in vielen Fällen eine enorme mentale Belastung und kann zu sozialer Isolation und wirtschaftlicher Not führen. Trotzdem ist das Recht auf Familie vielfach eingeschränkt, insbesondere, wenn eine Person in einem Staat kein oder nur ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht hat. In der Schweiz betrifft dies vor allem Personen mit einer vorläufigen Aufnahme.

Unterbringung

Familien im beschleunigten Asylverfahren werden in den Bundesasylzentren (BAZ) in Familienzimmern untergebracht. Manchmal müssen sich jedoch verschiedene Familien ein Zimmer teilen. Privatsphäre und Rückzugsmöglichkeiten sind nicht immer gegeben.

Komplexe Asylgesuche, für die mehr Zeit notwendig ist, werden den Kantonen für das sogenannte erweiterte Verfahren zugewiesen. Die betroffenen Familien verbringen die Zeit bis zum Entscheid oder Vollzug in kantonalen Kollektivunterkünften. Auch dort bestehen wenig Rückzugsmöglichkeiten.

Asylverfahren

Jedes Familienmitglied wird im Asylverfahren getrennt angehört. Auch Kinder haben das Recht auf Anhörung. Das ist wichtig, damit jede Person ihre Asylgründe darlegen kann. In der Schweiz werden Anhörungen von Kindern unter 14 Jahren im Asylverfahren noch nicht systematisch sichergestellt. Die Durchführung der Anhörung wird zudem nicht immer altersgerecht umgesetzt.

Werden Asylsuchende im erweiterten Verfahren oder nach Asylentscheid einem Kanton zugeteilt, bleibt die Kernfamilie, bestehend aus Mutter, Vater und minderjährigen Kindern, zusammen. Es kann jedoch vorkommen, dass eine Mutter und ihr volljähriges Kind verschiedenen Kantonen zugeteilt werden. Auch wird nicht berücksichtigt, ob Familienmitglieder, die nicht Teil der Kernfamilie sind, bereits in der Schweiz leben.

Familiennachzug

Befindet sich eine Person im Asylverfahren, hat sie kein Recht darauf, ihre Familie aus dem Herkunftsland oder einem Land ausserhalb des Dublin-Raums nachkommen zu lassen. Wenn sich die Familie jedoch ebenfalls in einem europäischen Staat, der die Dublin-Verordnung anwendet, aufhält, so kann das Recht auf Familieneinheit von den Behörden berücksichtigt werden.

Anerkannte Flüchtlinge dürfen die Kernfamilie, das bedeutet Ehepartner und minderjährige Kinder, sofort nachziehen, wenn sie durch die Flucht getrennt worden sind. Die Familienmitglieder werden dann in die Flüchtlingseigenschaft eingeschlossen und erhalten in der Regel Asyl.

Ein Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom November 2022 sieht vor, dass die gesetzliche Wartefrist von drei Jahren für den Familiennachzug von vorläufig aufgenommenen Personen nicht mehr strikt angewendet werden darf. Neu muss das Staatssekretariat für Migration sechs Monate vor Ablauf einer Wartefrist von zwei Jahren, d.h. nach eineinhalb Jahren, eine Prüfung der betroffenen Fälle vornehmen. In diesem Rahmen wird festgestellt, ob eine kürzere Frist als die gesetzlich vorgeschriebenen drei Jahre zum Tragen kommt. Allerdings verbleibt eine Wartefrist, ausserdem bestehen weitere Hindernisse für den Familiennachzug von vorläufig aufgenommenen Personen (Sozialhilfeunabhängigkeit, genügend grosse Wohnung, Sprachkenntnisse der nachzuziehenden Person).

Unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA) können ihre Eltern nicht nachkommen lassen, unabhängig davon, ob sie einen Aufenthaltsstatus als anerkannte Flüchtlinge oder eine vorläufige Aufnahme erhalten haben.

Abgewiesene Asylsuchende dürfen ihre Familie nicht nachziehen.

Wegweisung von Familien

Wird eine Person aus der Schweiz weggewiesen, muss die Einheit der Familie respektiert werden. So darf beispielsweise ein*e Asylsuchende*r nicht weggewiesen werden, wenn sein oder ihr minderjähriges Kind einen Aufenthaltsstatus in der Schweiz hat. Betrifft der Wegweisungsvollzug eine Familie, muss diese zusammen bleiben können und das Kindeswohl geachtet werden. In der Schweiz kommt es vor, dass Familienmitglieder getrennt ausgeschafft werden oder dass der Vater einer Familie inhaftiert wird und die Mutter mit den Kindern in der Asylunterkunft bleibt. In einzelnen Kantonen werden auch Minderjährige in Ausschaffungshaft genommen.

Dafür setzen wir uns ein

  • Familiengerechte Unterbringung: Privatsphäre und Rückzug in den Familienkreis ist ein Grundbedürfnis. Familien sind, sofern dies dem Wunsch der Familienmitglieder entspricht, zwingend in eigenen Räumlichkeiten in getrennten Abteilungen unterzubringen. Kinder benötigen in und ausserhalb der Asylunterkunft kinderfreundliche Räume. Mit einem Betreuungsangebot für Kinder muss sichergestellt sein, dass Eltern Termine beim Rechtschutz, dem SEM oder Ärzten wahrnehmen können.
  • Erweiterter Familienbegriff: Menschen aus Kriegsgebieten haben häufig keine Kernfamilie mehr. Der Familienbegriff sollte asylrechtlich entsprechend ausgeweitet werden und z.B. auch Geschwister, Eltern, Grosseltern oder Enkelkinder berücksichtigen.
  • Recht auf Kindesanhörungen: Kinder sind eigenständige Menschen, denen das Recht auf Anhörung zusteht. Die Schweizer Behörden müssen die Gewährleistung dieses Rechts systematisch sicherstellen. Ebenso müssen Anhörungen dem Alter und der Reife des Kindes entsprechend durchgeführt werden. 
  • Familie bei der Zuteilung in Kantone achten: Das Zusammenleben mit Familienmitgliedern in der Schweiz ist eine Grundlage für die psychische Gesundheit und die Integration. Bei der Zuteilung von Asylsuchenden in die Kantone muss sichergestellt werden, dass bereits in der Schweiz lebende Familienmitglieder ausserhalb der Kernfamilie berücksichtigt werden und Familienmitglieder im Asylverfahren oder nach einem Asylentscheid nicht verschiedenen Kantonen zugeteilt werden.
  • Familienzusammenführung erleichtern: Die Hürden für Familienzusammenführung für vorläufig aufgenommene Personen sind enorm hoch. Die SFH begrüsst die jüngste Anpassung der Schweizer Rechtsprechung, die eine verkürzte Wartefrist für die Familienzusammenführung vorsieht. Die Wartefrist und die anderen derzeit geltenden Bedingungen (keine Sozialhilfeabhängigkeit, ausreichend grosse Wohnung, Sprachkenntnisse der Person, die von der Familienzusammenführung profitiert) sind abzuschaffen. Hierzu ist eine Gesetzesänderung erforderlich.
  • Umgekehrter Familiennachzug: Die Kinderrechte und das Recht auf Familieneinheit sind grundlegende Menschenrechte, die auch im Asylbereich vorrangig berücksichtigt und geschützt werden müssen. Den Eltern von Kindern, die in der Schweiz Asyl erhalten, muss die Einreise in die Schweiz ermöglicht werden, wenn dies dem übergeordneten Interesse des Kindes entspricht.
  • Bei Wegweisung Familien nicht trennen: Eine Familie zu trennen ist unmenschlich. Zwangsausschaffungen können zudem schwerwiegende Folgen für die psychische Entwicklung des Kindes haben. Bei Wegweisungsvollzug darf die Familie nicht getrennt werden, das Kindeswohl muss stets geachtet und auf die Ausschaffungshaft von Minderjährigen verzichtet werden.

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