LGBTQI+-Personen im Asylverfahren

In vielen Ländern sind LGBTQI+-Personen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität Drohungen und Verfolgung ausgesetzt. Wir setzen uns dafür ein, dass der besondere Schutzbedarf von LGBTQI+-Personen im Asylverfahren in der Schweiz berücksichtigt wird und ihre spezifischen Bedürfnisse bei der Unterbringung beachtet werden.

Besonderer Schutzbedarf

In vielen Ländern werden sexuelle Orientierungen oder Geschlechtsidentitäten, die als nicht konform gelten, kriminalisiert. Die meisten davon haben Gesetze verabschiedet, die LGBTQI+-Personen diskriminieren, in anderen wiederum steht auf gleichgeschlechtlichen Beziehungen sogar die Todesstrafe. Auch gibt es Länder, in denen Regierungen nicht fähig oder gewillt sind, LGBTQI+-Personen vor gezielter Gewalt und Diskriminierung Dritter zu schützen: Strafverfahren werden eingestellt, Polizeirapporte verweigert und mutmassliche Täter- oder Täterinnen freigelassen.

Unterbringung und Betreuung

In der Schweiz sind Asylsuchende während des Verfahrens in Kollektivunterkünften untergebracht. LGBTQI+-Personen sind dort oft mit belastenden Situationen konfrontiert. Es kann sein, dass sie auf engstem Raum mit Personen zusammenleben müssen, die stigmatisierende Haltungen zur sexuellen Orientierung bereits aus ihrem Herkunftsland mitgebracht haben. Hier kommt dem Betreuungspersonal eine wichtige Rolle zu, indem es solche Situationen erkennt und die entsprechenden Schutzmassnahmen einleitet. Grundsätzlich können Kollektivunterkünfte für LGBTQI+-Personen nicht genügend Schutz bieten. Es gibt jedoch Kantone, die Projekte zur Unterbringung von LGBTQI+-Personen umgesetzt haben.

Medizinische Versorgung

In den Kollektivunterkünften wird eine medizinische Erstkonsultation durchgeführt, auch haben Asylsuchende grundsätzlich jederzeit Zugang zu medizinischer Versorgung. Den Gesundheitsfachpersonen kommt hier eine Schlüsselfunktion zu, in dem sie spezifische Bedürfnisse von LGBTQI+-Personen erkennen und diesen, wenn nötig, eine medizinische Behandlung ermöglichen können. Damit das medizinische Personal spezifische gesundheitliche Probleme wie sexuell übertragbare Infektionskrankheiten oder das Angewiesen sein auf eine Hormonbehandlung thematisieren kann, benötigt es genügend zeitliche und fachliche Ressourcen.

Asylverfahren

Für die Anhörung im Asylverfahren kann eine asylsuchende LGBTQI+-Person das Geschlecht der Personen wählen, die an ihrem Asylgespräch teilnehmen. Dies umfasst die Personen, welche die Anhörung leiten, Dolmetscherinnen oder Dolmetscher sowie die Rechtsvertretenden. Von den Behörden wird dies nicht immer konsequent berücksichtigt. Falls eine asylsuchende LGBTQI+-Person den Behörden ihre sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität nicht schon während des Erstgesprächs mitteilt, wird ihr Vorbringen in den meisten Fällen als nicht glaubwürdig abgelehnt. Es kommt jedoch häufig vor, dass LGBTQI+-Personen die wahren Asylgründe kaum zu erklären vermögen, da sie Schamgefühle oder Misstrauen gegenüber den Behörden so sehr verinnerlicht haben.

Das blosse Vorhandensein staatlicher Gesetze im Herkunftsland der Gesuchstellenden, die abweichendes Verhalten unter Strafe stellen, reicht in der Schweiz nicht aus, um Schutz zu erhalten. LGBTQI+-Personen müssen deshalb zusätzlich glaubhaft machen, dass sie in ihrem Herkunftsland einem hohen Risiko von persönlicher Benachteiligung ausgesetzt sind. Gemäss UNHCR (Richtlinien zum internationalen Schutz Nr. 9, §27) und dem Bericht über Homophobie auf der Flucht sollte der Flüchtlingsstatus jedoch allen LGBTQI+-Personen gewährt werden, die aus Ländern flüchten, in denen sie kriminalisiert oder strafrechtlich verfolgt werden.

Ein weiteres Thema in der Beurteilung des Asylgesuchs ist die sogenannte «Verschwiegenheitspflicht». Der Begriff meint, dass LGBTQI+-Personen in ihrem Herkunftsland nichts zu fürchten haben, solange sie sich «unauffällig» verhalten. Im Handbuch zum Asylverfahren des Staatssekretariats für Migration wie auch in den Richtlinien von UNHCR ist allerdings ausdrücklich festgehalten, dass eine solche Verschwiegenheit von der asylsuchenden Person nicht verlangt werden kann. In der Praxis gibt es aber immer wieder Fälle, bei denen die Schweizer Behörden von LGBTQI+-Personen erwarten, dass sie bei der Rückkehr in ihr Herkunftsland ihre sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität verheimlichen. In einem Urteil von 2020 rügt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Schweiz wegen der verfügten Wegweisung eines homosexuellen Gambiers. Der EGMR hielt fest, dass die Schweiz mit ihrem Wegweisungsentscheid gegen das Folterverbot in Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verstossen hatte.

Dafür setzen wir uns ein

  • Für LGBTQI+-Personen kann das Offenlegen ihrer sexuellen Identität mit Schamgefühlen verbunden sein. Es ist deshalb von besonderer Wichtigkeit, dass in den Unterkünften Offenheit und Sensibilität gegenüber LGBTQI+-Themen besteht. Dem Betreuungspersonal kommt hier eine wichtige Rolle zu.
  • LGBTQI+-Personen können in Kollektivunterkünften Vorurteilen oder Diskriminierung homophober Art ausgesetzt sein. Es ist deshalb essentiell, dass sie nicht in einer Kollektivunterkunft untergebracht sind, da dort ihre Sicherheit nicht gewährleistet werden kann. Entsprechende kantonale Projekte sind zu fördern und auszubauen.  
  • Um spezifische gesundheitliche Probleme oder das Angewiesen sein auf eine Hormonbehandlung anzusprechen, benötigt es Vertrauen und Zeit. Es bedarf deshalb ausreichend medizinisches Personal in den Kollektivunterkünften, welches ebenso über genügend zeitliche Ressourcen verfügt und zu LGBTQI+-Themen geschult ist. Nur so kann das medizinische Personal einen raschen, angemessenen Zugang zur Gesundheitsversorgung sicherstellen.
  • LGBTQI+-Personen im Asylverfahren haben oft negative Erfahrungen im Umgang mit Behörden im Herkunftsland gemacht. Ein verspätetes Vorbringen der LGBTQI+-Asylgründe sollte deshalb nicht grundsätzlich als Unglaubwürdigkeit gewertet werden. Es ist zudem von besonderer Wichtigkeit, dass auch bei den Personen, die an der Anhörung teilnehmen, Offenheit und Sensibilität gegenüber LGBTQI+-Themen bestehen.
  • Ein Leben, bestimmt davon, die eigene Identität zu verheimlichen, kann zu grossem psychischem Druck führen. Die Schweizer Behörden müssen beim Asylentscheid konsequent und gemäss den internationalen Richtlinien von UNHCR berücksichtigen, was geschehen könnte, wenn die Identität der Asylsuchenden im Herkunftsland aufgedeckt werden würde. Die sogenannte «Verschwiegenheitspflicht» der Asylsuchenden bei Rückkehr in das Herkunftsland darf von den Schweizer Behörden nicht erwartet werden.