Afghanistan

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Die Menschenrechtslage in Afghanistan hat sich seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 kontinuierlich verschlechtert. Auch die humanitäre Lage ist verheerend. Insbesondere die Situation der Frauen und Mädchen ist prekär. Hunderttausende Afghan*innen haben das Land bereits verlassen. Angesichts der humanitären Krise stehen Nothilfe und sichere Fluchtwege im Vordergrund. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) setzt sich für Visaerleichterungen für afghanische Geflüchtete, beschleunigte Familienzusammenführungen und ein zusätzliches Resettlement-Kontingent ein.

Fluchtgründe

Seit August 2021 kontrollieren die Taliban das Land. Nach ihrer Machtübernahme haben sie eine Übergangsregierung unter der Bezeichnung «Islamisches Emirat Afghanistan» eingesetzt. Trotz der Versprechen der Taliban, eine inklusive Regierung zu bilden, besteht die Übergangsregierung hauptsächlich aus männlichen Paschtunen, allesamt hochrangige Mitglieder der Taliban. Sie haben jegliche demokratische Strukturen abgeschafft und setzten die Scharia als Rechtsgrundlage ein. Körperstrafen sind wieder an der Tagesordnung. Dazu zählen Peitschenhiebe, Abhacken von Gliedmassen sowie Hinrichtungen auch aufgrund moralischer «Vergehen». Die Taliban gehen unter anderem gegen Angehörige der ehemaligen Sicherheitskräfte, Medienschaffende und Kritiker*innen vor. Seit ihrer Machtergreifung werden afghanische Frauen ihrer Grundrechte beraubt und in allen Lebensbereichen diskriminiert.

Die unerwartet schnelle Machtübernahme durch die Taliban, die fehlenden Übergangsregelungen sowie der abrupte Wegfall der internationalen Finanzhilfe haben Afghanistan in eine wirtschaftliche, finanzielle und humanitäre Krise von bisher unbekanntem Ausmass gestürzt. Heute leben 97 Prozent der Afghan*innen in Armut, etwa 28 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen und 17 Millionen Menschen leiden an akutem Hunger. Das UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) geht davon aus, dass seit der Machtübernahme der Taliban über 1.6 Millionen Menschen das Land verlassen haben.

Mehrere Millionen afghanische Schutzsuchende leben im Nachbarland Pakistan. Im Oktober 2023 hat das pakistanische Innenministerium verfügt, dass Afghan*innen ohne geregelten Aufenthaltsstatus Pakistan per 1. November 2023 verlassen müssen. Von den 4 Millionen Afghan*innen befinden sich 1.7 Millionen «illegal» in Pakistan, weil ihre Gesuche von den Behörden nicht bearbeitet oder ihre abgelaufenen Aufenthaltsbewilligungen nicht verlängert wurden. Gemäss der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zerstört die pakistanische Regierung seit Ablauf der Frist Häuser und konfisziert den Besitz von Afghan*innen, inhaftiert oder deportiert sie nach Afghanistan. Dort werden sie in improvisierten Flüchtlingscamps untergebracht und finden sich in einer schweren humanitären Krise wieder. Angehörige von Risikogruppen, insbesondere Frauen und Mädchen, Mitarbeitende der vorherigen Regierung, Journalisten, Menschenrechtsaktivistinnen und Angehörige von ethnischen und religiösen Minderheiten – sind so erneut der Verfolgung durch das Taliban-Regime ausgesetzt.

Asylgesuche in der Schweiz

Seit mehreren Jahren gehört Afghanistan zu den wichtigsten Herkunftsländern von Asylsuchenden in der Schweiz. Dies bestätigte sich auch 2023 mit 7934 Gesuchen von Afghan*innen (Stand Ende Jahr). Davon entfielen 6245 auf Primär-Gesuche, das bedeutet, unabhängig eingereichte Gesuche, sowie 151 auf Familienzusammenführungen, 341 auf Geburten und 1197 auf Mehrfachgesuche.

Praxis der Schweizer Behörden

Mitte August 2021 hat das Staatssekretariat für Migration (SEM) angesichts der sich dramatisch verschärfenden Situation bekanntgegeben, Wegweisungen nach Afghanistan vorläufig auszusetzen und auf Rückführungen zu verzichten. Laut einer Mitteilung im Juli 2023 geht nun auch das SEM davon aus, dass sich die Situation von Frauen und Mädchen in Afghanistan in vielen Lebensbereichen kontinuierlich verschlechtert hat. Die Asylanträge der weiblichen Asylsuchenden aus Afghanistan werden daher im Kontext der jüngsten Entwicklungen beurteilt. Jeder Antrag wird jedoch weiterhin individuell und entsprechend den Besonderheiten des konkreten Falls behandelt.

Schutzstatus

Im Jahr 2023 (Stand Ende Jahr) wurden laut Angaben des SEM insgesamt 7794 Fälle von Afghaninnen und Afghanen entschieden: 1369 erhielten Asyl, 4706 eine vorläufige Aufnahme. Die Schutzquote (Anteil der Asylgewährungen plus vorläufige Aufnahmen zum Total aller Entscheide) betrug 79,8 Prozent. Die Asylgewährung liegt bei nur 18% Prozent. Die verbleibenden Asylgesuche wurden zumeist mit einem Dublin-Nichteintretensentscheid entschieden, das bedeutet, dass ein anderer Staat im Schengen-Dublin-Raum für das Gesuch zuständig ist.

Dafür setzen wir uns ein

  • Humanitäre Hilfe: Die humanitäre Lage in Afghanistan ist äusserst prekär. Die Schweiz muss humanitäre Hilfe leisten und namentlich die vor Ort tätigen internationalen Organisationen finanziell und mit Hilfsgütern unterstützen. Die Unterstützung der Nachbarländer Iran und Pakistan, die eine hohe Zahl an afghanischen Schutzsuchenden beherbergen, soll ausgebaut werden. IOM und UNHCR appellieren an Pakistan, alle schutzbedürftigen Afghan*innen, die im Land Sicherheit gesucht haben und bei einer erzwungenen Rückkehr unmittelbar gefährdet sein könnten, weiterhin zu schützen.
  • Erleichterte Visaerteilungen und beschleunigte Familienzusammenführungen: Im Schweizer Asylrecht bestehen mit der Erteilung von humanitären Visa und der Möglichkeit von Familienzusammenführungen bereits anwendbare Instrumente, um Schutzsuchenden rasch einen sicheren Weg in die Schweiz zu ebnen. Die aktuelle Praxis ist allerdings äusserst restriktiv. Die Schweiz soll die Erteilung von humanitären Visa für sämtliche gefährdete Afghan*innen erleichtern und beschleunigen, insbesondere für Frauen und Mädchen. Als Sofortmassnahme sind Besucher*innen-Visa für jene Geflüchteten in Afghanistan zu erteilen, die Familienangehörige in der Schweiz mit einer Aufenthaltsbewilligung oder vorläufiger Aufnahme haben.
  • Resettlement: Sobald die Schweiz das gegenwärtig sistierte Resettlement nach Rücksprache mit Kantonen, Gemeinden und Städten wieder aufnimmt, sollte auch dieses Instrument verstärkt für die humanitäre Aufnahme von Geflüchteten aus Afghanistan genutzt werden – namentlich von besonders verletzlichen Geflüchteten wie Frauen, Kindern und Familien. Angesichts der anhaltend katastrophalen Lage in Afghanistan ist dann auch die Option zusätzlicher Kontingentsplätze zu prüfen, wie dies das Umsetzungskonzept des Bundesrates für humanitäre Notlagen vorsieht.
  • Schutz und regulärer Aufenthaltsstatus: Eine baldige Verbesserung der Situation in Afghanistan ist nicht absehbar. Die SFH begrüsst, dass das SEM afghanischen Frauen und Mädchen grundsätzlich Asyl gewährt und sich damit anderen europäischen Ländern anschliesst. Diese Praxisänderung ist unbedingt aufrecht zu erhalten. Auch anderen afghanischen Schutzsuchenden droht persönliche Verfolgung seitens der Taliban, beispielsweise aufgrund von Tätigkeiten von Familienangehörigen. Auch diesen Personen ist nach invididueller Prüfung Asyl zu gewähren. Afghanischen Geflüchteten, die bereits einen negativen Entscheid erhalten haben und sich noch in der Schweiz befinden, sollen Wiedererwägungsgesuche und Zweitasylgesuche ermöglicht werden, damit sie einen regulären Aufenthaltsstatus erhalten.

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