Interview: Barbara Graf Mousa, Redaktorin SFH
Foto: von rechts nach links: Khaleda Sajjadi-Maeder, Maryam Sediqi, Homayra Danishyar-Sajjadi
AWAS gibt den afghanischen Frauen in der Schweiz und in Afghanistan eine Stimme. Was war der Auslöser für die Vereinsgründung Ende 2021?
Maryam Sediqi: Der Auslöser für unser Engagement war die politische Veränderung durch die Machtübernahme der Taliban im August 2021. Ich wusste sofort, dass wir handeln und etwas für die Frauen in Afghanistan und hier in der Schweiz tun müssen. Durch die Sozialen Medien und Berichte in den Medien auf mich aufmerksam geworden, kontaktierte mich Khaleda Sajjadi Maeder per Messenger. Sie hatte bereits einen Dokumentarfilm mit SRF über Afghanistan gedreht.
Homayra Danishyar Sajjadi: Wir haben AWAS im Dezember 2021 gegründet, um auf die Gender-Apartheid und die systematische Ausgrenzung von Frauen in Afghanistan aufmerksam zu machen. Nach der Machtübernahme der Taliban wurden Frauen aus Bildung, Arbeit und dem öffentlichen Leben ausgeschlossen. AWAS setzt sich dafür ein, ihre Stimme zu stärken und ihnen Perspektiven zu geben – für ein Leben in Würde und Gleichberechtigung.
Khaleda Sajjadi Maeder: Als Ärztin, geboren in Afghanistan und aufgewachsen in der Schweiz, sehe ich mit grosser Sorge, wie Frauen in Afghanistan von Bildung, Arbeit und medizinischer Ausbildung ausgeschlossen werden. Die Taliban verwehren ihnen diese grundlegenden Rechte, wodurch der Zugang zu weiblichem Gesundheitspersonal stark eingeschränkt ist.
Sind die Frauen in Afghanistan deshalb medizinisch unterversorgt?
Khaleda Sajjadi Maeder: Ja, leider. Oft erhalten Frauen keine medizinische Hilfe, da kulturelle Normen die Behandlung durch männliche Ärzte verbieten. Dies führt zu hohen Raten von Müttersterblichkeit und unbehandelten Krankheiten. Ohne Zugang zu Bildung gibt es keine Perspektive für weibliche Fachkräfte, um diese Versorgungslücke zu schliessen. Die Gesundheit von Frauen wird zunehmend vernachlässigt, was nicht nur ihr Leben, sondern die gesamte Gesellschaft gefährdet.
Was tut AWAS fĂĽr die Frauen und die Gesellschaft in Afghanistan?
Maryam Sediqi: Homayra Sajjadi Danishyar schrieb die Statuten, ich kümmerte mich um das Vereinskonto, und am 13.12.2021 hatten wir unser erstes offizielles Treffen in Bern. Wir planten von Anfang, ein Projekt in Afghanistan zu starten, das Frauen eine nachhaltige finanzielle Perspektive bietet. Glücklicherweise hat der Bund beschlossen, afghanische Frauen in der Schweiz aufzunehmen – eine grossartige Nachricht, die uns sehr freut.
Homayra Danishyar Sajjadi: Wir haben in Kabul ein Nähstudio gegründet, um aktiv gegen Arbeitslosigkeit und die Ausgrenzung von afghanischen Frauen vorzugehen. Sie erlernen das Nähen und können durch den Verkauf ihrer Produkte ein eigenes Einkommen erzielen. Jede Frau sollte die Möglichkeit haben, ihre Ziele und Träume zu verwirklichen – insbesondere in ihrer eigenen Heimat. Als AWAS möchten wir nicht nur ihre Stimme im Ausland vertreten, sondern auch direkt vor Ort in Afghanistan hörbar machen. Gemeinsam setzen wir ein Zeichen für Hoffnung, Selbstbestimmung und Gleichberechtigung.
Wo liegt der Fokus von AWAS in der Schweiz?
Maryam Sediqi: Wir bieten Beratungen und Vernetzungsanlässe an, führen jedoch keine aufsuchende Arbeit durch – die Frauen treten von sich aus mit uns in Kontakt. Was wir hingegen aktiv tun, ist durch Reden bei Veranstaltungen, Teilnahme an Podiumsdiskussionen und Interviews Aufmerksamkeit zu schaffen. So sensibilisieren wir die Öffentlichkeit in der Schweiz für die Situation afghanischer Frauen in Afghanistan.
Bietet Ihr spezielle Anlässe, die allen Frauen offen stehen?
Maryam Sediqi: Mit der «Ladies Night» möchten wir Frauen stärken, ihnen einen Raum geben, in dem sie sich vernetzen und als Community zusammenkommen können. Im Februar haben wir zudem NGOs, Organisationen und Behörden zu einem Networking-Event eingeladen, um im Bereich Integration Synergien zu schaffen, Kooperationen zu fördern und Ressourcen aufzubauen.
Es gibt ja bereits zahlreiche afghanische Gemeinschaften. Arbeitet Ihr zusammen?
Maryam Sediqi: Genau darin liegt eines der Hauptprobleme: Viele afghanische Vereine in der Schweiz existieren nebeneinander, arbeiten jedoch nicht direkt zusammen. Bei AWAS möchten wir genau das fördern – Zusammenarbeit und Synergien schaffen. Denn gemeinsam können wir viel mehr erreichen, und das stärkt zugleich die afghanische Diaspora in der Schweiz und trägt zu ihrem Empowerment bei.
Welche Rolle spielt für AWAS die Förderung von Kunst und die Kultur?
Khaleda Sajjadi Maeder: Eine sehr wichtige! In Afghanistan verlieren die Frauen nicht nur ihre Rechte auf Bildung, sondern auch den Zugang zur Kunst. Die afghanische Dichtkunst, die sich über Jahrtausende bis zu Mawlana [anderer Name für den Gelehrten und Sufi-Meister Rumi, Anm. d. Red.] zurückverfolgen lässt, ebenso wie der Gesang, die Musik und die darstellende Kunst, drohen in Afghanistan zu verschwinden. Ein wichtiger Aspekt der Arbeit von AWAS ist es, genau diese kulturellen Werte zu fördern und zu unterstützen. Da es in Afghanistan derzeit unmöglich ist, solche Aktivitäten zu verfolgen, ist es umso bedeutender, dass diese künstlerischen und kulturellen Ausdrucksformen in der Schweiz erhalten und weitergegeben werden. Für 2025 planen wir Konzerte, Portrait-Ausstellungen und weitere kulturelle Veranstaltungen.