Afghanische Frauen und Mädchen sind als Flüchtlinge anzuerkennen

18. Dezember 2023

National- und Ständerat behandeln in der letzten Sessionswoche eine Reihe von Vorstössen, die eine massive Verschärfung des Asylrechts und eine Abkehr von internationalen Verpflichtungen fordern. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) erwartet vom Parlament eine klare Absage an solche Bestrebungen und ein Bekenntnis zum Flüchtlingsschutz. Das gilt insbesondere für afghanische Frauen und Mädchen: Als Opfer von Diskriminierung und religiös motivierter Verfolgung haben sie Anspruch auf Asyl. An dieser aktuellen Praxis des Staatssekretariats für Migration (SEM) ist unbedingt festzuhalten – zumal sie durch ein neues Urteil des Bundesverwaltungsgerichts gestützt wird.

Mitte Juli 2023 hat das SEM seine Praxis zu weiblichen Asylsuchenden aus Afghanistan angepasst. Seither haben diese nach der EinzelfallprĂĽfung ihres Gesuchs grundsätzlich Anspruch auf Asyl. Zuvor erhielten afghanische Frauen und Mädchen in der Regel einen negativen Asylentscheid verbunden mit einer vorläufigen Aufnahme, weil der Wegweisungsvollzug unzumutbar ist. Diese Praxisänderung steht nun diese Woche in einer eigens dafĂĽr anberaumten ausserordentlichen Session zur Debatte: Zwei Motionen aus den Reihen von SVP und FDP verlangen vom Bundesrat, sie wieder rĂĽckgängig zu machen. 

Die SFH lehnt diese haltlose Forderung angesichts der katastrophalen Lage in Afghanistan dezidiert ab. Für afghanische Frauen und Mädchen ist aufgrund der diskriminierenden Regeln und Massnahmen unter dem Taliban-Regime kein selbstbestimmtes, menschenwürdiges Leben möglich – sie sind Opfer religiös motivierter Verfolgung. Zu diesem Schluss kommt auch das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) in einem neuen Urteil (D-4386/2022), das sich vertieft mit der Situation von Frauen und Mädchen in Afghanistan auseinandersetzt.

Rechtliche Erwägungen sind massgebend

Dabei erkennt das Gericht in der zunehmend radikalen und systematischen Diskriminierung von Frauen und Mädchen durch die Taliban «ein flĂĽchtlingsrechtlich erhebliches Verfolgungsmotiv», weshalb sie Anrecht auf Asyl in der Schweiz hätten. Damit stĂĽtzt das BVGer klar die politisch kritisierte Praxisänderung, die das SEM im Rahmen seiner Kompetenzen und des geltenden Asylgesetzes vorgenommen hat. 

Massgebend für solche Praxisanpassungen müssen weiterhin allein rechtliche Erwägungen des SEM aufgrund veränderter Umstände bleiben – ideologische oder parteipolitische Interessenlagen im Parlament dürfen dabei keine Rolle spielen.

Schutzbedarf unbestritten – Praxis europaweit angepasst

Die SFH begrüsst das wegweisende BVGer-Urteil und die Bestätigung der gezielten Schutzmassnahme für Frauen und Mädchen aus Afghanistan ausdrücklich. Sie fordert National- und Ständerat deshalb auf, sich klar zum Flüchtlingsschutz zu bekennen, die Praxisanpassung des SEM zu bekräftigen und die zwei Motionen abzulehnen.

Der Schutzbedarf afghanischer Frauen und Mädchen ist unbestritten. Die Schweiz steht mir ihrer Praxisänderung denn auch nicht allein: Sie folgte vielmehr erst verzögert zahlreichen europäischen Ländern, die auf Empfehlung der EU-Asylagentur (EUAA) ihre Praxis bereits vorher entsprechend angepasst haben – etwa Schweden, Dänemark, Finnland, Spanien, Frankreich, Italien, Ă–sterreich, Deutschland, Belgien, Lettland, Malta und Portugal. 

Nein zu Abschiebungen in Drittstatten wie Ruanda

In der letzten Sessionswoche stehen zusätzliche Vorstösse an, mit denen internationale Verpflichtungen der Schweiz in Frage gestellt werden. Dazu gehört insbesondere die Forderung an den Bundesrat, abgewiesene eritreische Asylsuchende gegen Bezahlung in Drittstaaten wie Ruanda abzuschieben. Die Motion aus den Reihen der FDP nimmt sich dabei explizit die fragwürdigen Pläne der britischen Regierung zum Vorbild, Asylsuchende nach Ruanda auszuschaffen, um dort ihr Asylverfahren durchführen zu lassen.

Inzwischen hat der britische Supreme Court das umstrittene Vorhaben allerdings unterbunden, weil Ruanda kein sicherer Drittstaat sei und mit der Abschiebung dorthin eklatante Verstösse gegen völkerrechtliche Verpflichtungen und internationale Menschenrechtsnormen drohen – namentlich besteht ein grosses Risiko, dass dadurch das Non-Refoulement-Gebot verletzt würde.

Schutzverpflichtungen bleiben bestehen

Deshalb ist das Urteil des höchsten englischen Gerichts auch für die Schweiz relevant: Das Non-Refoulement-Gebot gilt absolut, also unabhängig davon, ob Asylsuchende ihr Verfahren bereits durchlaufen haben oder nicht – auch nach einem rechtskräftigen Wegweisungsentscheid bleiben die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz bestehen. Zudem untersagt bereits das geltende Schweizer Recht eine Zwangsausschaffung in einen Drittstaat, wenn es sich wie bei Ruanda nicht um einen sicheren Drittstaat handelt und wenn die Betroffenen keinen Bezug zu diesem Staat haben.

Angesichts dessen fordert die SFH den Nationalrat auf, den Entscheid des Ständerates zu korrigieren und diesen Vorstoss abzulehnen. Denn Pläne nach dem UK-Ruanda-Modell sind in der Praxis nicht menschenrechtskonform durchführbar, weshalb auf die Auslagerung von Asylverfahren und Schutzverpflichtungen in Drittstaaten grundsätzlich zu verzichten ist.

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