Frontex verschliesst angesichts illegaler Push-Backs in Ungarn die Augen

14. Januar 2021

Ungarn fĂŒhrt trotz Verurteilung durch den EuropĂ€ischen Gerichtshof (EuGH) weiterhin illegale Abschiebungen von Schutzsuchenden nach Serbien durch. Die europĂ€ische Grenzschutzagentur Frontex bleibt untĂ€tig.

In einem am 8. Januar 2021 veröffentlichten Bericht wirft die ungarische Menschenrechtsorganisation Helsinki-Komitee (HHC) Ungarn vor, die illegalen Push-Backs nach Serbien fortzusetzen um möglichst zu verhindern, dass Schutzsuchende in Ungarn ein Asylgesuch stellen. Info Migrants spricht von nahezu 2‘300 Schutzsuchenden, die allein in den letzten Monaten ohne rechtsstaatliche Verfahren nach Serbien abgeschoben worden sind – ein Verstoss gegen das Non-Refoulement Prinzip. Info Migrants stĂŒtzt sich dabei auf Daten der ungarischen Polizei. Diese Vorgehensweise wurde bereits Mitte Dezember 2020 vom EuGH verurteilt.

Ausserdem wirft HHC der EuropĂ€ischen Agentur fĂŒr die Grenz- und KĂŒstenwache (Frontex) vor, systematische Menschenrechtsverletzungen bewusst zu ignorieren. In diesem Zusammenhang wird auch auf die seitens Frontex eingegangene Verpflichtung verwiesen, sich im Fall von Menschenrechtsverstössen aus dem betreffenden Mitgliedstaat zurĂŒckzuziehen. Frontex ist jedoch trotz des EuGH-Urteils weiterhin in Ungarn aktiv.

Der Zeitpunkt der Veröffentlichung des HHC-Berichts fĂ€llt in eine fĂŒr Frontex sehr heikle Phase, zumal eingehende Nachforschungen verschiedener Medien ergaben, dass die Grenzschutzbehörde in illegale Push-Backs im Mittelmeer verwickelt ist. Die Schweizerische FlĂŒchtlingshilfe (SFH) verurteilt diese internationales Recht verletzenden Praktiken aufs SchĂ€rfste: Durch sie werden Asylsuchende ihres Grundrechts Asyl zu ersuchen beraubt. 

Laufende Untersuchungen zur Frontex

Am 12. Januar 2021 hat das EuropĂ€ische Amt fĂŒr BetrugsbekĂ€mpfung (OLAF) Ermittlungen gegen die EU-Grenzschutzbehörde eingeleitet, nachdem dieser vorgeworfen wurde in der  Ă„gĂ€is Schutzsuchende an die tĂŒrkisch-griechische Seegrenze zurĂŒckgedrĂ€ngt zu haben. Bei der Untersuchung dĂŒrfte es auch um ein mögliches Fehlverhalten von Frontex-Chef Fabrice Leggeri gehen.

Fabrice Leggeri wurde am 13. Januar 2021 von Abgeordneten des Ausschusses fĂŒr Menschenrechte und humanitĂ€re Hilfe in Berlin zu den erhobenen VorwĂŒrfen befragt. Aus der Pressemitteilung des Deutschen Bundestags geht die Aussage Leggeris hervor, es gĂ€be keine Beweise fĂŒr eine aktive, direkte oder indirekte Beteiligung von Frontex-Mitarbeitenden an Push-Back-Aktionen an den Aussengrenzen der EU. Gleichzeitig rĂ€umte er jedoch ein, es habe «VorfĂ€lle» an der Ă€gĂ€ischen Seegrenze zwischen Griechenland und der TĂŒrkei gegeben. Die Abgeordneten der Linken bedauern indessen, dass die Behörde ihre Mitwirkung an den illegalen ZurĂŒckweisungen trotz Vorliegens zahlreicher Beweise und stichhaltiger Berichte weiterhin leugnet. Eine andere Parlamentsfraktion forderte ihrerseits die Besetzung der nach wie vor offenen 40 Beobachter-Stellen der europĂ€ischen Grundrechte-Agentur, die Frontex zur Überwachung ihrer EinsĂ€tze in Bezug auf die Einhaltung der Menschenrechte vorgesehen hatte.

Schweizer Beteiligung an Frontex-EinsÀtzen

Die Schweiz ist als assoziiertes Schengen/Dublin-Mitglied eng in die Asyl- und Migrationspolitik der EU eingebunden. Seit 2009 ist unser Land auch finanziell und operativ direkt an Frontex beteiligt. Das Schweizerische Grenzwachtkorps nimmt an Ausbildungsprogrammen teil, an der Mitarbeit bei der Erstellung von Risikoanalysen, sowie an Operationen an den Aussengrenzen des Schengen-Raumes. Bis 2027 sollen alljĂ€hrlich rund 40 Mitarbeitende des Schweizerischen Grenzwachtkorps an Europas Aussengrenzen entsendet werden. HauptsĂ€chlich handelt es dabei um von der Eidgenössischen Zollverwaltung (EZV), dem Staatssekretariat fĂŒr Migration (SEM) und den Kantonen zur VerfĂŒgung gestellte EinsatzkrĂ€fte.

KĂŒnftig ist Frontex auch berechtigt, die Schengen-Staaten bei  sĂ€mtlichen  RĂŒckfĂŒhrungen von Personen ohne legalen Aufenthalt zu unterstĂŒtzen, so etwa auch bei freiwillig RĂŒckkehrenden oder bei der Beschaffung von Reisedokumenten.

Frontex in KĂŒrze

Die im Jahr 2004 gegrĂŒndete Agentur ist mit der Koordination der operativen AktivitĂ€ten und der UnterstĂŒtzung der Grenzkontrollen beauftragt. Frontex ĂŒberwacht und kontrolliert die EU-Aussengrenzen mit Hilfe des Einsatzes europĂ€ischer Polizeieinheiten. In den letzten Jahren hat die Agentur ihre EinsĂ€tze an den Grenzen immer weiter ausgebaut und sich zum wesentlichen Instrument der europĂ€ischen Abschottungspolitik entwickelt. Bis  2027 ist geplant, die Grenzschutzbehörde auf insgesamt 10’000 Grenzschutzbeamte und KĂŒstenwachen aufzustocken. FĂŒr die SFH ist diese Entwicklung besorgniserregend, zumal Frontex ihren Einfluss in einem Ă€usserst sensiblen Bereich, der die Menschenrechte betrifft, weiter ausweitet.