In drei aktuellen Entscheiden hat der UN-Ausschuss fĂĽr die Beseitigung der Diskriminierung der Frau (CEDAW) die Schweiz verurteilt, weil sie die Wegweisung von Frauen, die Opfer verschiedener Formen geschlechtsspezifischer Gewalt wurden, nach Griechenland und Italien anordnete.
In den drei Entscheiden hebt der Ausschuss insbesondere zwei problematische Aspekte des Asylverfahrens in der Schweiz hervor. Der erste betrifft die Tendenz der Schweizer Behörden, die Glaubhaftigkeit von Opfern sexualisierter Gewalt anzuzweifeln, wenn ihre Aussagen als «verspätet» gelten, d.h. nach Beginn des Verfahrens gemacht wurden. In diesem Zusammenhang erinnert der CEDAW daran, dass Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt oft grosse Schwierigkeiten haben, über die ihnen widerfahrenen Misshandlungen zu berichten. Eine verspätete Aussage könne daher nicht allein aus diesem Grund als unglaubhaft angesehen werden.
Die weitere vom Ausschuss aufgeworfene Problematik betrifft den Mechanismus der sogenannten «Dublin»- oder «sichere Drittstaaten»-Wegweisungen. Dieser Mechanismus ermöglicht es der Schweiz, eine Person in ein anderes europäisches Land zurückzuschicken, in dem ihr Asylverfahren noch läuft oder in dem sie bereits einen internationalen Schutzstatus erhalten hat. Nach Ansicht des CEDAW muss für Frauen, die Opfer schwerer Misshandlungen, geschlechtsspezifischer Gewalt oder von Menschenhandel geworden sind, eine umfassende traumainformierte und geschlechtssensible Individualprüfung ihrer Situation erfolgen – insbesondere im Hinblick auf das Risiko eines «irreparablen Schadens» (d.h. einer erneuten schweren Verletzung ihrer Menschenrechte), wenn sie tatsächlich in das betreffende Land zurückgeschickt werden. Vor einer Wegweisung sei auch sicherzustellen, dass Opfer sexualisierter Gewalt in dem Land Zugang zu medizinischer und psychologischer Behandlung sowie zu Rehabilitationsmassnahmen haben.
Die SFH hofft, dass die Schweizer Behörden den Empfehlungen des Ausschusses nachkommen und Einzelfälle vertieft prüfen werden, um eine humanere und respektvollere Behandlung von Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt zu gewährleisten.
Die Fälle wurden von der Anwältin Stephanie Motz und AsyLex sowie von der Anwältin Raffaella Massara mit Unterstützung von Studierenden der Law Clinic der Universität Bern vertreten. Die Entscheide des CEDAW (Nr. 169/2021, 171/2021 und 172/2021) sind hier veröffentlicht.