Stein für Stein an der Zukunft bauen

10. Dezember 2018

«Land in Sicht – Hand reichen zur Aufnahme» hiess der Slogan für die Flüchtlingstage 2018, welche die Schweizerische Flüchtlingshilfe SFH jedes Jahr zusammen mit vielen Mitwirkenden organisiert. Im Zentrum standen dabei Geflüchtete, welche ihre Geschichten über Ankunft und Aufnahme in der Schweiz in Videos erzählten. Wie kommen sie mit Unterkunft und Aufenthaltsstatus, oft nur eine vorläufige Aufnahme zurecht; warum gelingt manchen die sprachliche und berufliche Integration rascher als Anderen? Der Maurerlehrling Muuse Ayanle Omer aus Somalia hat diese Videos und Geschichten über die Social Media mitverfolgt. «Auch ich bin nur vorläufig aufgenommen und habe es trotzdem geschafft, eine Lehrstelle zu finden», meldete er sich per Facebook. Die SFH hat ihn getroffen und seine beeindruckende Geschichte aufgezeichnet.

Von Barbara Graf Mousa, Redaktorin Schweizerische Flüchtlingshilfe SFH

«Ayanle bedeutet auf Somalisch, jemand, der Glück hat», strahlt der junge Mann. Ein Glückspilz, sagt man hier. Was der Pilz allerdings mit dem Glück zu tun haben soll, will Muuse Ayanle nicht so recht einleuchten. Zumal das Glück einem zufällt oder eben nicht – oft ohne selber viel dazu beitragen zu können. Er jedenfalls hat jede Möglichkeit genutzt, um sich rasch und selbständig in der neuen Gesellschaft zu bewegen. Insofern hat er sein Glück selber in die Hände genommen.

Mann mit Zukunftsplänen

Maurerhände sind das heute; zarte, feingliederige zwar, aber solche, die richtig zupacken können, die eine Maurerkelle exakt führen können und jederzeit fleissig notieren, was es neues zu lernen gibt. Das sagen seine Lehrmeister und das dokumentieren seine Zeugnisse. «Mein Ziel ist es im Moment, mich bis zum Vorarbeiter an der Schule in Sursee auszubilden», erklärt Muuse Ayanle. Er ist auf dem besten Weg dazu: Nach zwei Schnupperwochen erhielt er gleich von zwei Bauunternehmen Zusagen für eine Lehrstelle. Er durchlief zunächst den zweijährigen Attest-Lehrgang bei einem grossen Bauunternehmen. Das hat so gut funktioniert, dass er aktuell ein drittes Lehrjahr absolviert und im Sommer 2019 abschliesst. Mit dem eidgenössischen Fähigkeitszeugnis als Maurer EFZ steht seinen beruflichen Zukunftsplänen nichts mehr im Wege.

«Dank des Fussballs habe ich viele Freunde gefunden», erzählt der angehende Maurer Muuse Ayanle. Aktuell spielt er in einem 3. Liga-Club in Liestal.

Hinein in das Fussballfeld

«Die Schweiz ist ein vorbildliches und wunderbares Land, wenn man sich ausbilden will, dafür bin ich sehr dankbar», sagt Muuse Ayanle. Aufgewachsen in einem Dorf in Nordsomalia musste er als 12-jähriger mit seiner Familie zum ersten Mal vor den Al-Shabaab-Fundamentalisten flüchten und lebte ab 2008 in einem Flüchtlingslager im äthiopischen Grenzgebiet. Dort ringen Tausende vorwiegend somalische Schutzsuchende täglich um ihre Existenz. Der Alltag ist geprägt von Entbehrungen, Gewalt und Schutzlosigkeit für die Schwächsten. «Man kann sich das hier kaum vorstellen, wie das dort ist», sagt er knapp. In einer solchen Situation endet die Kindheit insbesondere für die ältesten Söhne abrupt: Es gilt, Verantwortung zu übernehmen und das Überleben der Familie irgendwie zu sichern.

«Man kann sich das hier kaum vorstellen, wie das dort ist»

Der Hunger, die Armut und die Perspektivenlosigkeit in den überfüllten Flüchtlingslagern vieler Nachbarländer afrikanischer Kriegsschauplätze zwingen Jugendliche wie Muuse Ayanle zur gefährlichen Flucht nach Europa. Er hat alle Stationen überlebt: Die Flucht in die sudanesische Hauptstadt Karthum, die Schlepperei durch die libysche Wüste, das Gefängnis in der libyschen Hafenstadt Bengasi, der Schlauchboot-Transfer bis nach Malta, das Provisorium in Italien und schliesslich die Reise in die Schweiz über Sion bis ins Empfangs- und Verfahrenszentrum EVB Basel «Ich habe Basel wegen der Champions League vom Fernsehen her gekannt», lacht der begeisterte Hobbyfussballer.

Noch immer spielt er in seiner Freizeit Fussball, aktuell in einem 3. Liga-Club in Liestal (BL). Lange hat er beim FC Therwil (BL) von der 5. bis zur 3. Liga gekickt und so viele neue Kollegen kennengelernt. «Über den Fussball habe ich wirklich viele tolle Kollegen kennengelernt», erzählt er. «Lange stand ich am Rande des Fussballfeldes, bis ich mich traute zu fragen, ob ich mitspielen darf und es funktionierte. Von da an gehörte ich dazu und ich war stolz, dass ich endlich zeigen konnte, was ich mit dem Ball machen kann.» Grosszügig sorgte die Gemeinde für die Sportausrüstung des damals noch minderjährigen Asylsuchenden aus Somalia.

Ein klares Ziel vor Augen haben

Muuse Ayanle war 16 Jahre alt, als er ohne Begleitung eines Erwachsenen im EVZ Basel im Juli 2013 eintraf. Er stellte einen Asylantrag. Nach neun Tagen wurde er nach Liestal einer speziellen Unterkunft für minderjährige Asylsuchende zugewiesen, gerade rechtzeitig für den Schulbeginn im August. Er besuchte knapp zwei Jahre das Zentrum für Brückenangebote (früher Integrations- und Berufsvorbereitungsklasse IBK). «Für mich war das super. Ich lernte richtig Deutsch, hatte Mathematik, lernte mit Computern umzugehen und vor allem, wie da hier in der Schweiz mit den Ausbildungen funktioniert», erzählt er begeistert. «Die Lehrerin war gut und hat uns alle sehr unterstützt. Vielleicht war es für mich so einfach, weil ich es gewohnt bin, immer zuerst alles selber zu machen: selber ausprobieren, selber fragen, wenn ich nicht alleine ans Ziel komme, mich einfach durchzuschlagen.» Eine Qualität, die viele Geflüchtete mitbringen, und die im Integrationsprozess sehr hilfreich ist.

Der F-Ausweis

Muuse Ayanle ist nun seit drei ein halb Jahren vorläufig aufgenommen (F-Ausweis): «Ich hoffe, dass ich bald ein Bleiberecht bekomme: Ich bin in Ausbildung, selbständig, habe nette Lehrmeister, die mich trotz der vorläufigen Aufnahme ausbilden. Ich finde mich hier gut zurecht und kann von meinem Lohn selbständig leben. Ich glaube, die Chancen stehen gut», hofft er. Was ist sein Rezept dafür, dass ihm so vieles gelingt? Man müsse ein klares Ziel vor Augen haben und genau wissen, was man will, meint er. Dann muss man sich selber darum kümmern, und kapieren, dass man hier einige Jahre in die Ausbildung stecken muss ohne viel verdienen zu können: «Ich muss sieben Jahre in die Bildung investieren, dann kann ich später etwas Grosses erreichen, das habe ich mir immer gesagt.»

Bauarbeit liegt in der Familie

Das Glück wollte es, dass sein Traumberuf in der Schweiz dem zunehmenden Bedarf an handwerklichen Fachkräften entspricht: Maurer gehört heute zu den Berufsbranchen, die mit Nachwuchsproblemen zu kämpfen haben. «Ich liebe es zu bauen! Als Kind half ich oft meinem Vater, der auch als Maurer und Bauarbeiter gearbeitet hat. Allerdings verdiente er im Monat etwa 300 Schweizer Franken, während mein Lohn schon im ersten Lehrjahr fünfmal höher war.», erzählt Muuse Ayanle. «Natürlich bezahlt man hier auch viel mehr für die Lebenskosten, das ist klar.

Ich bin sehr froh, dass ich für mein Leben selber bezahlen kann

Ich bin sehr froh, dass ich für mein Leben selber bezahlen kann und nur kurze Zeit von der Sozialhilfe abhängig war.» Stolz zeigt er einen säuberlich gezeichneten Bauplan und eine Backsteinmauer, die er für die Abschlussprüfungen erstellt hat. «Ich gehe oft auf unsere Lehrlingsbaustelle, übe und probiere aus, es ist meine Leidenschaft. Mauern braucht es überall, man sieht jeden Tag, was man gemacht hat, das ist sehr schön an dieser anstrengenden Arbeit.»