Sensibilisierung für Geflüchtete im Bundeslager der Pfadis

05. August 2022

30'000 Jugendliche sind derzeit im der Region Goms, im Kanton Wallis im Bundeslager der Pfadfinder*innen. Mittendrin bietet das Team für die Jugendbildung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) Workshops zur Sensibilisierung gegenüber geflüchteten Menschen an. Das Angebot wird von vielen Gruppen genutzt.

Von Barbara Graf Mousa, Redaktorin Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH)

Schutzberechtigte sollen in der Mitte der Gesellschaft ihren Platz finden und am sozialen und wirtschaftlichen Leben in ihrer neuen Heimat teilhaben können. Dafür setzt sich die SFH ein und die Bildungsabteilung nimmt hierfür mit Sensibilisierungsworkshops und Weiterbildungsangeboten für verschiedene Zielgruppen eine Schlüsselrolle ein.

Viele Leitmotive der Pfadfinder*innen, etwa gegenseitigen Respekt, Hilfsbereitschaft und gesellschaftliche Inklusion entsprechen den Botschaften, welche die SFH unter anderen in der Jugendbildung vermittelt. Seit 2016 engagieren sich zum Beispiel Pfadfinder*innen in Luzern, Bern und Basel mit dem Projekt Pfasyl speziell für geflüchtete Kinder und Jugendliche, die in den kollektiven Asylunterkünften kaum Platz für Spiel und Bewegung finden. «Es ist eines der Kernanliegen von Pfasyl, dass diese Kinder Kontakt zu jungen Menschen in ihrem Gastland erhalten, die sich für sie interessieren und ihnen Möglichkeiten bieten, unsere Kultur, die Sprache und das Leben bei uns kennen zu lernen», schreiben die Projekt-Initiant*innen auf der Website www.pfasyl.ch. «Kinder mit unterschiedlichsten Hintergründen finden in der Gruppe einen Platz, wo sie für kurze Zeit einen Gegenentwurf zu ihrem Alltag als Geflüchtete erleben.»

Auch im Bundeslager 2022 üben sich die Pfadfinder*innen nicht nur im Lageraufbau und Outdoor-Leben, sondern setzen sich mit gesellschaftlichen und weltpolitischen Themen wie dem Klimawandel oder der Diversität der Geschlechter auseinander. Die sogenannten Pios und Rovers, das sind Jugendliche ab 15 Jahren, die eine Pfadigruppe leiten, sind das Zielpublikum für die 22 SFH-Workshops zum Thema «Geflüchtete in der Schweiz: die Menschen hinter den Statistiken».

Das Thermometer klettert an diesem Tag in Ulrichen auf 31 Grad. Die Uhr zeigt bald halb Zwei und im Workshop-Zelt ist es noch heisser. Die Power-Point-Präsentation will sich nicht mehr auf dem Bildschirm zeigen, auch der LGBTQI-Workshop nebenan hat mit der Elektronik zu kämpfen. «Macht nichts», lacht Anna Friedli, Co-Verantwortliche der SFH-Jugendbildung «Vieles läuft hier pragmatisch und es braucht viel Flexibilität, das gefällt mir. Die Jugendlichen mögen so oder so lieber das direkte Gespräch vor allem mit unseren Mitarbeitenden, die selbst geflüchtet sind.»

«Schwyzerstärn» heisst die engagierte Pfadigruppe aus Stadt Bern, die mit einer halben Stunde Verspätung und zusätzlich mit sieben Pfadi-Gästen aus Kalifornien zum Workshop eintrifft. Die Leiter*innen sind ebenfalls bei Pfasyl engagiert und haben 2020 in ihr Sommerlager auch junge Geflüchtete eingeladen. Man einigt sich spontan auf die Verständigungssprache Englisch, damit auch die amerikanischen Pfadis mitdiskutieren können.

Als Einstieg werden Gruppen gebildet für das «Papierstreifenspiel»: Jede Gruppe repräsentiert ein Land, jeder Papierstreifen steht für 100‘000 Geflüchtete. Die Jugendlichen sortieren und hängen die Papierstreifen entsprechend den Fluchtbewegungen in und aus den ausgewählten Ländern auf. Sie erkennen so, dass Geflüchtete sehr ungleich auf die verschiedenen Länder verteilt sind und nur wenige nach Europa und in die Schweiz gelangen.

Nun folgen die Erfahrungsberichte von Désiré Nsanzineza und Hakeem Sayaband, zwei SFH-Mitarbeitende mit Fluchthintergrund. Die grosse Gruppe wird geteilt, so dass alle die unterschiedlichen Flucht- und Integrationsgeschichten hören können. «Sie waren über zehn Jahre auf der Flucht?» oder «Sind Sie wirklich alles zu Fuss von Ruanda bis nach Kamerun gelaufen?», staunen die Jugendlichen über die Schilderungen des ruandischen Mitarbeiters. Auch dass er von seiner Frau und seinen Kindern getrennt wurde und jahrelang in der Subsahara wie ein Sklave schuften musste, beschäftigt sie. Behutsam fragt eine Teilnehmerin, wie es den Kindern heute gehe und wie er selbst das alles verkraften konnte.

Der kurdische Journalist Hakeem Sayaband aus Nordirak gestaltet seinen Bericht etwas politischer. Entsprechend reagierten die Jugendlichen mit konkreten Präzisierungsfragen über das Asylverfahren und die Aufenthaltsbewilligungen in der Schweiz. Einige kennen die rechtlichen Ungleichheiten zwischen ukrainischen und anderen Geflüchteten und möchten mehr darüber wissen. Eine Teilnehmerin berichtet kurz über ihre Erfahrungen als Gastfamilie. Die Diskussion ist rege und engagiert, die Zeit leider zu kurz. «Das Coolste waren die Gespräche mit Désiré und Hakeem und dass man sie alles fragen konnte», findet ein Pfadi nach dem Workshop.

Auch wenn es dem SFH-Bildungsteam einiges an Improvisationskunst abverlangt, so fällt die Bilanz für diesen einmaligen Einsatz sehr positiv aus. «Es sind sehr engagierte Jugendliche, sie stellen gute Fragen. Man merkt, dass sie schon etwas sensibilisiert sind für die Themen Flucht und Asyl», sagt Hakeem Sayaband, der im Nordirak als Kind auch in einer Pfadigruppe mitmachte. Désiré Nsanzineza pflichtet bei: «Der Einsatz hier lohnt sich, denn die Jugendlichen sind in einem wichtigen Alter und haben in der Schule und in ihrer Freizeit mit Flüchtlingskindern zu tun.»

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