Faktenbasierte Lösungen statt billige Parolen

02. Februar 2024

In Europa und den westlichen Demokratien ist der Populismus auf dem Vormarsch - auch in der Schweiz. Asylsuchende werden dabei leider oft zur Zielscheibe, was sich hierzulande insbesondere im Wahlkampf zu den nationalen Parlamentswahlen im Herbst 2023 zeigte. Die neue Legislatur dürfte mehr denn je vom heiklen Thema Asylpolitik geprägt sein. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) wird sich aktiv für eine Asylpolitik einsetzen, die die Menschenwürde ins Zentrum stellt.

Lionel Walter, Mediensprecher & Politik

Die Schweiz ist nicht nur mit einem neuen Parlament in die 52. Legislatur gestartet, sondern auch mit einem neuen Vorsteher des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD): «Alles deutet darauf hin, dass auch 2024 ein anspruchsvolles Jahr wird», erklärt der Basler Bundesrat Beat Jans als neuer EJPD-Chef in den Medien. Im Asylbereich erwarten ihn in der Tat mehrere Herausforderungen. Die Asyl- und Schutzgesuche steigen, das Asylsystem ist nicht ausreichend schwankungstauglich, es fehlt an Unterbringungsmöglichkeiten und Betreuungspersonen. Gleichzeitig hat die Europäische Union eine Asylreform verabschiedet, die auf Abschreckung und Abschottung setzt - und aus Sicht der SFH mehr denn je die Solidarität der Schweiz gegenüber schutzsuchenden Menschen erfordert, deren Rechte immer stärker beschnitten werden.

Verschärfung des Diskurses

In der Schweiz hat sich das politische Klima verschärft. Die SVP ging mit ihren vermeintlich einfachen Lösungen für komplexe Probleme als Gewinnerin aus den nationalen Wahlen hervor. Gelingen konnte das nur, weil die asylpolitische Lage aktuell angespannt ist aufgrund der wachsenden Zahl internationaler Konflikte, die immer mehr Menschen zur Flucht zwingen. Die SVP setzte im Wahlkampf massiv auf das Thema Asyl und machte dabei Asylsuchende für alle Übel dieser Welt verantwortlich - von der Wohnungsknappheit über den Platzmangel in Zügen oder auf den Strassen bis hin zu Preissteigerungen und Kriminalität. Die FDP zog mit und machte die Migration zum Hauptthema ihrer Wahlkampagne. Unter dem Slogan «Hart, aber fair» warb sie für eine Verschärfung der Asylpolitik.

Der Wahlkampf und die Wahlergebnisse in der Schweiz spiegeln eine Entwicklung, die seit einiger Zeit in ganz Europa zu beobachten ist: Rechte Parteien legen zu, der öffentliche Diskurs über Migration und Asyl wird spürbar rauer, die Grenzen des Sagbaren verschieben sich und die Forderungen nach einer härteren Asylpolitik und Massenausschaffungen werden immer lauter. Die Normalisierung des restriktiven Diskurses hat problematische Folgen: Statt einer konstruktiven Debatte um faktenbasierte Lösungen versuchen sich Politiker*innen gegenseitig mit Ideen zu überbieten, wie sich der Schutz von Geflüchteten immer weiter einschränken lässt und wie Asylsuchende weggewiesen oder an der Einreise gehindert werden können.

Symbolpolitik auch im Parlament

Das beste Beispiel dafür ist die unsägliche Debatte über die Änderung der Asylpraxis gegenüber afghanischen Frauen und Mädchen, die als Opfer von Diskriminierung und religiös motivierter Verfolgung zu Recht Anspruch auf Asyl haben. Angestossen wurde die Diskussion während des Wahlkampfes von der Rechten. Konkret forderten die SVP und die FDP mit zwei Motionen, diese Praxisänderung rückgängig zu machen. In der Wintersaison wurden die Motionen aufgrund eines Antrags der Mitte jedoch zur Prüfung an die Kommission zurückgewiesen. Die Debatte ist somit noch nicht beendet, obwohl das Schutzbedürfnis afghanischer Frauen und Mädchen unbestritten ist und die Schweiz mit der Änderung ihrer Praxis lediglich dem Beispiel anderer europäischer Länder gefolgt ist.

Mit solchen parlamentarischen Vorstössen wird Symbolpolitik betrieben, welche die Schweizer Asylpolitik zu Beginn dieser Legislaturperiode prägt. Alle haben eine massive Verschärfung des Asylrechts zum Ziel - um nur ein paar zu nennen: Migrationsabkommen mit einem diktatorischen Regime, Auslagerung von Asylverfahren in Transitzonen oder ins Ausland oder der Vollzug von Wegweisungen von abgewiesenen Asylsuchenden. Solche Vorschläge beeinflussen nicht nur die öffentliche Meinung und schüren Ressentiments gegenüber Geflüchteten, sondern sind oft nicht umsetzbar und stehen im Widerspruch zu völkerrechtlichen Verpflichtungen. Selbst die Genfer Flüchtlingskonvention wird inzwischen offen in Frage gestellt. Diese Entwicklung und die Fokussierung der politischen Debatte auf symbolpolitische Vorschläge sind gefährlich: Die Grundlagen des Rechtsstaates werden dadurch erschüttert, die Demokratie wird geschwächt, verbunden mit einer Spaltung der Gesellschaft. Eine Rückbesinnung auf echte Lösungen anstelle unzähliger billiger Parolen ist daher dringend notwendig.

Die Mitte hat es in der Hand

In dieser Hinsicht kommt der Mitte eine wichtige Rolle im neuen Parlament zu. Die Mehrheiten sind knapp und Kompromisse schwer zu finden, insbesondere im Nationalrat, wo der Rechten nur sechs Stimmen fehlen, um ihren Vorhaben zum Durchbruch zu verhelfen. Dies bietet der Mitte eine besondere Chance: Sie wird einerseits zur Mehrheitsbeschafferin und hat andererseits die Möglichkeit, sich als «sozial-bürgerliche» Kraft zu profilieren, die den rechtsstaatlichen Grundsätzen und der humanitären Tradition der Schweiz verpflichtet ist und überzeugende Ideen und Kompromisse hervorbringt. Die Position der Mitte wird damit mitentscheidend sein für die künftige Ausrichtung der Schweizer Asylpolitik.

Die Menschenwürde muss gewahrt werden

Die Wahlen sind vorbei, die Mehrheiten bekannt. Parteipolitische Interessen müssen nun zurückgestellt werden, um Platz für einen sachlichen Diskurs und einen Konsens für pragmatische, faktenbasierte Lösungen zu schaffen. Die Mehrheit des Parlaments darf nicht den Verlockungen des Populismus und der Symbolpolitik verfallen. Jene Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die eine menschenwürdige Politik verfolgen wollen, die die Schwächsten schützt und sich an den internationalen Menschenrechtsverpflichtungen orientiert, dürfen sich nicht von vereinfachenden Diskursen leiten lassen. Vielmehr sind sie dazu aufgerufen, sich für legale Zugangswege, für die Anerkennung der Rolle der Zivilgesellschaft, für ein einheitliches und faires Asylverfahren, für eine effektive Gleichbehandlung von Geflüchteten, deren wirtschaftliche und soziale Integration sowie eine bessere Planung von Unterbringung und Betreuung einzusetzen. Die Verbesserung der Rechte und der Situation von Geflüchteten muss gerade auch in Zeiten zunehmender internationaler Konflikte Priorität haben.

Die Antwort auf diese Herausforderungen und populistischen Diskurse kann nur Solidarität sein und eine Politik, die die Wahrung der Menschenwürde und den Schutzgedanken ins Zentrum stellt. Menschenrechte sind nicht verhandelbar und dürfen nicht parteipolitischen Interessen zum Opfer fallen. Die SFH wird sich weiter für die Rechte und den dringend notwendigen Schutz von Geflüchteten einsetzen und als deren Anwältin ihre Interessen vertreten.