Brutale Repression in Iran: Hinschauen und Schutz gewähren

13. Dezember 2022

Die landesweiten Proteste in Iran nach der mutmasslichen Tötung einer jungen Frau wegen Verstosses gegen die Kleidervorschriften halten mittlerweile seit fast drei Monaten an. Die Sicherheitskräfte reagieren mit brutaler Gewalt, die fassungslos macht. Statt Weg- ist aber Hinschauen gefragt. Und geflüchteten iranischen Demonstrierenden ist in der Schweiz Asyl zu gewähren.

Adrian Schuster, Länderexperte

Sogar den Zuschauerinnen und Zuschauern der Fussballweltmeisterschaft in Katar wurde plötzlich Einblick in die Verwicklungen der iranischen Proteste gewährt: Die Spieler der iranischen Fussballnationalmannschaft wagten es, vor ihrem ersten Spiel gegen England das Singen der Nationalhymne zu verweigern – aus Solidarität mit den Protestierenden in Iran. Die Niederlage des – mittlerweile wieder singenden – iranischen Fussballteams im letzten Spiel gegen den Erzfeind USA wurde von Protestierenden in Teheran bejubelt – als Zeichen gegen das Regime. Ein Freund eines iranischen Nationalspielers wurde mutmasslich von Sicherheitskräften erschossen, nachdem er das Ausscheiden des iranischen Teams gefeiert hatte.

Eskalierende Gewalt

Die Proteste in Iran wurden durch den Tod der 22-jährigen kurdischen Iranerin Jîna Mahsa Amini ausgelöst. Diese war am 16. September 2022 in Haft gestorben; dies, nachdem sie vorgängig von der iranischen «Sittenpolizei» aufgegriffen worden war, weil sie ihren Schleier nicht korrekt getragen haben soll.

Die Sicherheitskräfte reagieren seither mit unverhältnismässiger Gewalt, Misshandlungen und Folter auf die mehrheitlich friedlichen Proteste. Bis zum 1. Dezember 2022 meldeten Menschenrechtsgruppen im Zusammenhang mit den Protesten den Tod von 462 Menschen, darunter 64 Kindern. Die iranischen Behörden sind in Dutzenden von Fällen in verschiedenen Städten wie Sanandaj, Saghez, Mahabad, Rasht, Amol, Shiraz, Mashhad und Zahedan exzessiv und rechtswidrig mit tödlicher Gewalt gegen Demonstrierende vorgegangen. Die Sicherheitskräfte schossen dabei mit scharfer Munition und haben mehrere Hunderte Menschen – darunter Frauen und Kinder – getötet. Allein am 30. September 2022, dem «blutigen Freitag», töteten Sicherheitskräfte mehr als 90 Menschen bei einem Protest in der Stadt Zahedan im Osten des Landes. Seit Beginn der Proteste im September haben die Behörden Tausende von Menschen sowie Hunderte von Studierenden, Aktivistinnen, Journalistinnen und Menschenrechtsverteidiger verhaftet. Die Gefangenen werden in überfüllten Lagern gehalten und sind Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt.

In mehreren kurdischen Städten gehen die iranischen Behörden seit Mitte November noch brutaler gegen die Protestierenden vor. Videos in sozialen Medien zeigen den Einsatz von Spezialkräften und Einheiten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden, die mit militärischen Sturmgewehren und schweren Maschinengewehren ausgerüstet sind. Die Behörden setzen die Familien von getöteten Angehörigen unter Druck, damit diese unter Ausschluss der Öffentlichkeit beerdigt werden. Dennoch wurden mehrere Beerdigungen zum Schauplatz neuer Proteste.

Tausende Protestierende werden strafverfolgt. Seit dem 21. November 2022 haben iranische Gerichte mindestens sechs Demonstrierende zum Tode verurteilt.  Laut Amnesty International sind mindestens 21 Personen im Zusammenhang mit den Protesten angeklagt und es droht ihnen die Todesstrafe.

Der Iran hat in den letzten Monaten mehrere Raketen- und Drohnenangriffe auf die StĂĽtzpunkte der iranisch-kurdischen Oppositionsgruppen im Nordirak durchgefĂĽhrt. Beobachter weisen darauf hin, dass Teheran mit seinen Angriffen auf kurdische Gruppen vor allem von den Protesten im eigenen Land ablenken will.

Der Kurs des im Juni 2021 als neuer Präsident gewählten Ebrahim Raisi kennzeichnet sich durch knallharte Repression. Der Geistliche machte sich als Scharfrichter einen Namen und spielte 1988 eine wichtige Rolle bei der Hinrichtung von Tausenden von Regimegegnern.

In den vergangenen vier Jahren kam es in Iran immer wieder zu Massenprotesten, auf welche die Behörden mit unverhältnismässiger Gewalt und willkĂĽrlichen Verhaftungen reagierten. Bei einer der brutalsten Niederschlagungen von Massenprotesten im November 2019 töteten Sicherheitskräfte mutmasslich mehr als 300 Menschen. Seit Jahren geht der Sicherheits- und Geheimdienstapparat des Landes in Zusammenarbeit mit der iranischen Justiz hart gegen Andersdenkende vor. Folter und andere Misshandlungen sind weit verbreitet. Haftbedingungen sind unmenschlich, wie eine Recherche der Schweizerischen FlĂĽchtlingshilfe (SFH) zu Frauengefängnissen zeigt.

Einsatz einer Untersuchungskommission: wichtiges Zeichen

Bei solch schweren Rechtsverletzungen ist genaues Hinschauen und das Dokumentieren der Verstösse nötig. Dies, damit Täterinnen und Täter für ihre Vergehen in Zukunft überhaupt zur Verantwortung gezogen werden können. Es ist deshalb zu begrüssen, hat der UNO-Menschenrechtsrat Ende November eine unabhängige, internationale Untersuchungskommission eingesetzt, die die Menschenrechtsverletzungen in Iran im Zusammenhang mit den Protesten untersuchen soll; auch wenn ungewiss ist, ob die Untersuchung handfeste Resultate zeigen wird, da das Unrechtsregime in Teheran die Kooperation verweigert.

Auch die SFH beobachtet die Ereignisse in Iran und hat im Oktober 2022 ein Factsheet erstellt, in welchem Risikoprofile gefährdeter Personen in Iran definiert wurden.

Asyl fĂĽr geflĂĽchtete Demonstrierende

Nach Einschätzung der SFH besteht für Demonstrierende, Dissidenten und Menschenrechtsverteidigerinnen in Iran ein hohes Risiko, verhaftet und zu Haftstrafen oder Auspeitschungen verurteilt zu werden. Auch religiöse Minderheiten, wie zum Christentum Konvertierte, sind von massiver Repression bedroht. Frauen laufen Gefahr für «Verstösse gegen die Sitten» Opfer von Verbrechen im Namen der «Ehre» zu werden oder durch staatliche Akteure inhaftiert und bestraft zu werden. Schliesslich werden LGBTQI+-Personen unterdrückt und gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen können in Iran mit dem Tod oder Auspeitschen bestraft werden. Der Iran ist nach wie vor einer der führenden Vollstrecker der Todesstrafe. Im Jahr 2021 wurden mindestens 310 Menschen hingerichtet. Die Todesstrafe wird als Mittel der politischen Unterdrückung eingesetzt.

Im September und Oktober 2022 war gegenĂĽber den Vormonaten ein deutlicher Anstieg der Asylgesuche von iranischen Staatsangehörigen in der Schweiz zu beobachten. Angesichts der aktuellen Lage in Iran fordert die SFH, dass geflĂĽchteten Demonstrierenden in der Schweiz Asyl gewährt wird. Wie das kĂĽrzlich veröffentlichte Factsheet der SFH zur Lage in Iran zeigt, gibt es zahlreiche weitere Risikoprofile wie beispielsweise konvertierte Christen, LGBTQI+-Personen und von häuslicher Gewalt betroffene Frauen. Auch ihnen sollte in der Schweiz Schutz gewährt werden.