Mit sicherer Aufnahme und dauerhaftem Schutz Menschenleben retten

09. März 2021

Für den Grossteil der weltweit Geflüchteten fehlt es an legalen Einreisemöglichkeiten in ein sicheres Drittland. Jene, die es dennoch versuchen, riskieren auf der Suche nach Sicherheit und Schutz oftmals ihr Leben. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) legt den Schwerpunkt in diesem Jahr auf die zwei geschützten Aufnahmewege Resettlement und Familienzusammenführungen: als Co-Vorsitzende der weltgrössten Konferenz zu Resettlement und als Koordinatorin der Kampagne zu den Flüchtlingstagen unter dem Motto «Familien gehören zusammen».

Von Sylvia Braun, ATCR-Koordinatorin und Barbara Graf Mousa, Redaktorin SFH

Das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) schätzt, dass 2021 für ungefähr 1.45 Millionen Geflüchtete Resettlement-Plätze gefunden werden müssten. Das entspricht einer Verdoppelung seit 2012. Seither haben die Krisen im Nahen Osten und der Syrienkrieg Millionen Menschen vertrieben, die zunächst Schutz in Nachbarländer wie Jordanien, Libanon und der Türkei suchen.

Kontingente erhöhen und ausweiten

In der Schweiz stehen in diesem Jahr die Resettlement-Programme oben auf der politischen Agenda. Die SFH hat dazu im neuen Positionspapier «Resettlement und weitere humanitäre Aufnahmewege für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge» umfassend analysiert, wo aus ihrer Sicht Handlungsbedarf besteht, und wie Geflüchtete rasch und sicher in die Schweiz gelangen und dauerhaften Schutz finden können.

Die Schweiz praktiziert seit den 1950er-Jahren Resettlement-Programme in Zusammenarbeit mit UNHCR. Sie nimmt seit 2013 besonders verletzliche Geflüchtete vorab aus Syrien auf. Ende 2018 hat der Bundesrat die Teilnahme am Resettlement-Programm der UNO als fester Teil der Asyl- und Migrationspolitik verankert. Seit 2020 sollen in Absprache mit den Kantonen und den parlamentarischen staatspolitischen Kommissionen alle zwei Jahre zwischen 1500 bis 2000 vulnerable Geflüchtete aufgenommen werden. Die SFH begrüsst die langfristige Kooperation mit UNHCR und regt an, sich im Resettlement noch stärker auf die besonders schutzbedürftigen Gruppen wie unbegleitete Kinder und Jugendliche, alleinstehende Mütter und Kinder, Menschen mit Beeinträchtigungen sowie LGBTQI-Personen zu fokussieren. Bestehende Kontingente sollten voll ausgeschöpft werden; 2020 konnten bei einem Jahreskontingent von 800 nur 330 Personen einreisen. Zudem fordert die SFH eine deutliche Erhöhung der Kontingente sowie eine geografische Ausweitung für die Aufnahme von Schutzsuchenden aus Krisen- und Gefahrengebieten entlang der Fluchtrouten sowie Evakuierungen aus Libyen.

Als Gastgeberin der weltweit grössten Konferenz zum Thema Resettlement, der sogenannten «Annual Tripartite Consultations on Resettlement (ATCR)» kann die Schweiz diesbezüglich neue Akzente setzten. Dieses Jahr haben das Staatssekretariat für Migration (SEM) und die SFH gemeinsam den Vorsitz inne. Erstmals bringen dabei auch Geflüchtete Ideen und Vorschläge über ein beratendes, internationales Gremium, der «Refugee Steering Group-(RSG)», direkt in die ATCR ein. Dazu ATCR-Projektleiterin Sylvia Braun: «Eine unserer Prioritäten für die diesjährige Konferenz ist es, die Beteiligung von Geflüchteten deutlich zu erhöhen. Wir freuen uns, dass uns die Refugee Steering Group bei der Planung und Durchführung aktiv unterstützt und wir viele kompetente Rednerinnen und Redner und Moderierende mit Fluchterfahrung für die anstehende Konferenz gewinnen konnten. Bei der Planung und Durchführung von Resettlement- und Integrationsprojekten fehlt es vielerorts noch an einer systematischen Einbeziehung der Flüchtlingsperspektive. In der Konferenz wollen wir unter anderem innovative Initiativen von Geflüchteten sowie zum Thema komplementäre Zugangswege diskutieren.»

Der Aufnahmemöglichkeiten sind viele

Im Schweizer Asylrecht finden sich mit der Erteilung von Humanitären Visa und mit Familienzusammenführungen (vgl. unten) bereits zwei sofort anwendbare Möglichkeiten, um Schutzsuchende einen sicheren Weg in die Schweiz zu ebnen. Allerdings werden beide Zugänge in der Praxis sehr restriktiv gehandhabt. Das Visa-Monitoring des SEM weist für 2019 nur 172 humanitäre Visa aus, obwohl sie eigentlich für besonders Schutzbedürftige gedacht sind. Für viele Schutzsuchende aus Kriegsgebieten ist zudem die sogenannte Drittstaatenregelung ein Stolperstein. Diese Regelung geht davon aus, dass Schutzsuchende, die aus einem Kriegs- oder Gefahrengebiet in einen Drittstaat flüchten konnten, nicht mehr gefährdet sind. Dies und die Tatsache, dass es nicht in allen Ländern Schweizer Vertretungen gibt, verunmöglicht vielen Geflüchtete den Zugangsweg über Humanitäre Visa. Die SFH fordert deshalb die Aufhebung der Drittstaatenregelung und dass einschränkende Bedingungen sowie formale und technische Hürden beseitigt werden.

Solidarische Potentiale abholen

Die Beteiligung von Städten, Gemeinden, NGOs, Freiwilligen oder Sponsoren an humanitären Aufnahmeaktionen wird in der Schweiz seit einigen Jahren mit verschiedenen politischen Vorstössen und Aktionen eingefordert. Mit der Petition «Evakuieren jetzt» manifestierten 2020 über 50'000 Unterzeichnende und knapp 140 Organisationen eindrücklich ihre Bereitschaft, sofort Schutzsuchende aus den Camps in der Ägäis zu evakuieren und unbürokratisch aufzunehmen. Die SFH fordert die Schaffung der vom Bundesrat 2016 in Aussicht gestellten gesetzlichen Grundlage, damit dieses Potential genutzt werden kann und daraus längerfristig Patenschaftsprogramme entwickelt werden können.
In eine ähnliche Richtung zielt der Vorschlag der SFH, zusätzliche Aufnahmeprogramme im Bildungs- und Beschäftigungssektor zu prüfen und jungen Geflüchteten den Zugang zu Schweizer Universitäten und Fachhochschulen zu erleichtern.

Familien gehören zusammen

Eine weitere Möglichkeit für einen geschützten Zugang in die Schweiz ist die Familienzusammenführung. Die SFH wird dazu an den Flüchtlingstagen Mitte Juni mit der Kampagne «Familien gehören zusammen. Auch Geflüchtete» sensibilisieren. Familien werden auf den langen, lebensgefährlichen Fluchtrouten häufig auseinandergerissen. Geflüchtete müssen dann oftmals jahrelang um ihre Angehörigen bangen, wissen teilweise nicht wo sie sind und ob sie noch leben – eine unerträgliche Situation. Damit eine Familie wieder vereint werden kann, braucht es ein effizientes Zusammenspiel von lokalen, nationalen und internationalen Akteuren. Die SFH setzt sich dafür ein, dass die hohen Hürden für Familienzusammenführungen in der Schweiz beseitigt werden und bestehende Spielräume zugunsten von schutzsuchenden Familien ausgeschöpft werden. 

Dieser Beitrag ist in unserem Printmagazin «Fluchtpunkt» erschienen. Wir geben Ihnen darin Einblicke in unsere Arbeit und lassen Geflüchtete zu Wort kommen. Über unsere Webseite können Sie ein kostenloses Abo bestellen.