«Damit sich das Gute vervielfacht»

20. März 2024

Cihan Dilber arbeitete in der Türkei sieben Jahre als Staatsanwalt, seine Frau war Richterin. 2016, bei dem sogenannten Putschversuch, wurden auch sie zusammen mit knapp 3000 türkischen Juristinnen und Juristen entlassen und ohne Beweise und rechtmässige Verfahren für mehrere Monate inhaftiert. Sie flüchteten schliesslich mit ihrem kleinen Sohn in die Schweiz und leben seit vier Jahren im Kanton Baselland. Cihan Dilber arbeitet im Bildungsteam der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) mit.

Interview und Fotografie: Barbara Graf Mousa, Redaktorin SFH

Cihan Dilber, Sie bereichern viele Bildungsangebote der SFH mit Ihrem Fachwissen und Ihren vielfältigen Erfahrungen im Bereich Flucht, Asyl und Migration. Wie haben Sie von der SFH gehört?

«Als ich im Internet recherchierte, entdeckte ich die SFH und begann, ihr in den sozialen Medien zu folgen. Ich wusste ehrlich gesagt nicht, dass es im Bildungsteam der SFH diese Art von Arbeit für geflüchtete Menschen in der Schweiz gibt. Tatsächlich hat die SFH mich gefunden, nicht ich sie.»

Wie kam das?

«Das ging über das Flüchtlingsparlament, in dem ich seit zwei Jahren mitwirke. In diesem Gremium tauschen sich Geflüchtete aus allen Kantonen untereinander aus, aber auch international findet ein Austausch statt. mit anerkannten Flüchtlingen aus verschiedenen Ländern und Kulturen der Welt. Wir diskutieren in verschiedene Arbeitsgruppen unsere eigenen Probleme und präsentierten Lösungen. Ein Teilnehmer erwähnte meinen Namen gegenüber der SFH, die sofort mit mir Kontakt aufnahm.»

Sind Sie auch für Juristinnen und Juristen im Schweizer Asylbereich eine Ressource?

«Die SFH hat mich gebeten, eine Präsentation mit meinen eigenen Erfahrungen für ein umfassendes Seminar mit Juristinnen und Juristen zu halten. Diese begleiten und unterstützen die Asylsuchenden in den Bundesasylzentren und während den Interviewphasen, den Anhörungen. Ich nahm das Angebot gerne an.»

Was ist Ihre Aufgabe im SFH-Bildungsteam?

«Wenn die SFH einen öffentlichen Anlass oder einen Kurs über die Türkei durchführt, halte ich einen Vortrag. Ich erzähle über mein Leben vor, während und nach der Flucht, über die Lage in der Türkei und was das für die Menschen bedeutet. Bei Kursen oder Weiterbildungen für Erwachsene und junge Menschen berichte ich über meine Flucht und über meine Erfahrungen als Asylsuchender und anerkannter Flüchtling in der Schweiz. Ich mag es sehr, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und mit neuen Menschen in Kontakt zu kommen. Es ist ein Vergnügen, bei jedem Treffen etwas Neues zu lernen und einen kleinen Beitrag zum besseren gegenseitigen Verständnis zu leisten.»

Wo sehen Sie Ihre Stärken und Qualitäten für die Einsätze bei der SFH?

«Ich bin ein Mensch, der gerne Kontakte knüpft, kommuniziert und der gerne etwas lernt, indem er mit verschiedenen Menschen ins Gespräch kommt. Ich höre gerne zu. Ich versuche auch, Menschen zu verstehen. Ich mag keine Vorurteile.

Was ist Ihnen persönlich im Leben wichtig?

«Wichtig ist für mich, dass sich das Gute vervielfacht und gute Menschen ihren Kampf gemeinsam fortsetzen. Ich möchte, dass alle Menschen als gleichwertig angesehen werden und die gleichen Rechte haben – unabhängig von Religion, Rasse, Herkunft, Nationalität oder Hautfarbe. Wenn auch nur für eine Person etwas Nützliches und Schönes getan wird, denke ich, dass all diese Bemühungen es wert sind. Wir sollten unseren Kampf nicht ergebnisorientiert, sondern prozessorientiert fortsetzen. In der heutigen dunklen Welt ist es oft sehr wichtig, auch nur für einen Menschen eine Hoffnung zu sein. Ich freue mich sehr, das SFH-Bildungsteam noch besser kennenzulernen und mit diesen Menschen zusammenzuarbeiten; das sind alles Menschen, die sich für mehr Freundlichkeit und Empathie einsetzen.»

Das Flüchtlingsparlament

Das Flüchtlingsparlament tagt seit 2022 einmal jährlich im Bundeshaus in Bern. Das Ziel: den Anliegen der Geflüchteten auf der politischen Ebene mehr Gewicht zu verleihen und ihnen Gehör zu verschaffen. Cihan Dilber: «Zum ersten Mal kommen die Flüchtlinge selbst zu Wort und diskutierten ihre eigenen Probleme. Jedes Jahr arbeiten wir zehn Vorschläge aus und präsentieren diese der Öffentlichkeit sowie einigen Politikerinnen und Politikern aus dem Parlament.»

Die Entstehungsgeschichte geht auf das Engagement des 1995 gegründeten Vereins National Coalition Building Institute (NCBI) zurück. NCBI Schweiz versteht sich «Brückenbauer-Institut» und ist über NCBI International mit über 50 Sektionen in den USA, Kanada, England, und Mazedonien weltweit vernetzt.

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