Äthiopien am Rande eines Bürgerkrieges

18. November 2020

Seit November 2020 eskaliert der Konflikt zwischen der äthiopischen Tigray-Region und der Zentralregierung. Verschiedene Quellen melden Hunderte von Toten und Verletzten; UNHCR berichtet von über 100'000 Menschen auf der Flucht. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) fordert den sofortigen Stopp von Zwangsrückführungen nach Äthiopien.

Der Konflikt zwischen der Volksbefreiungsfront von Tigray (Tigray People's Liberation Front TPLF) – die herrschende Partei der Tigray-Region an der Grenze zu Eritrea – und der Zentralregierung in Äthiopien hat sich nach den Regionalwahlen vom September 2020 zugespitzt. Die Zentralregierung hat die Wahlen wegen COVID 19 abgesagt, doch in der Region Tigray wurden sie trotzdem durchgeführt. Aktuell sei die Informationslage unsicher, da das Mobilnetz und das Internet ausgeschalten sind, sagen die Expertinnen und Experten der SFH-Länderanalyse. Die äthiopische Armee fliegt Luftangriffe in der Tigray-Region, die Zentralregierung berichtet von hunderten Toten und Verletzten. Verschiedene Quellen, darunter Amnesty International, sprechen von Massakern an Zivilistinnen und Zivilisten. Die Nachbarstaaten sind alarmiert: Der Sudan habe die Grenze zu Äthiopien geschlossen und dort Truppen stationiert. Die TPLF soll auch Orte im mit ihr verfeindeten Eritrea angegriffen haben. Es gibt Gerüchte, dass in Eritrea die Einberufung in den Nationaldienst forciert wird. Auch die Lage in den Flüchtlingslagern in der Region Tigray, wo viele eritreische Flüchtlinge untergebracht sind, ist unklar, so die aktuellen Recherchen der SFH-Länderanalyse. Hintergrund des drohenden Bürgerkriegs ist der schwelende Streit zwischen der Zentral- und Regionalregierung: Der Einfluss der TPLF auf die Zentralregierung hat seit dem Amtsantritt von Präsident Abiy Ahmed im April 2018 abgenommen. Mit seinen zahlreichen Reformen schaffte sich der gefeierte Hoffnungsträger Abiy Ahmed unter der alten politischen Garde viele Feinde; alte, unterdrückte Konflikte sind wieder aufgeflammt. Alleine in seinem ersten Amtsjahr wurden über 2.9 Millionen Menschen aufgrund von Unruhen innerhalb von Äthiopien vertrieben, wie die SFH 2019 vermeldete.

Keine Zwangsausschaffungen

Gemäss der Statistik des Staatssekretariats für Migration (SEM) gab es 2020 vier und 2019 drei Zwangsausschaffungen nach Äthiopien. Dabei handelt es sich allerdings nur um Fälle im Asylbereich, in welchen ein Kanton das SEM um Unterstützung für die Wegweisung bat. Angesichts der aktuellen Situation fordert die SFH, dass keine Zwangsrückführungen nach Äthiopien durchgeführt werden. Vielmehr sollen das SEM und das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) bei Entscheiden über Asylgesuche von Geflüchteten aus Äthiopien und Eritrea beachten, dass sich die Sicherheitslage in der Region kontinuierlich verschlechtert und dass seit der Machtübernahme von Abiy Ahmed verschiedenste neue Konflikte ausgebrochen sind. Die SFH fordert, dass das SEM und BVGer in ihren Entscheiden unbedingt die aktuellen Herkunftsländerinformationen gemäss den COI-Standards berücksichtigen.

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