Afghanistan: Kein Ende der Gewalt in Sicht

08. Oktober 2019

Nach 18 Jahren Krieg bleibt die Situation für die Zivilbevölkerung vielerorts in Afghanistan lebensgefährlich. Der bewaffnete Konflikt dauert an. Die Taliban kontrollieren heute weitere Gebiete als je seit 2001. Angesichts der Sicherheitslage erachtet die SFH eine Wegweisung von afghanischen Asylsuchenden weiterhin als unzumutbar.

Die Sicherheitslage verschlechtert sich im ganzen Land weiter. Trotzdem halten die schweizerischen Behörden eine Wegweisung von afghanischen Asylsuchenden in die Städte Kabul, Herat und Mazar-i-Sharif weiterhin für zumutbar, sofern diese dort ein familiäres oder soziales Netzwerk haben. Diese Praxis ist angesichts der Realität vor Ort unhaltbar. Unser Update zur aktuellen Sicherheitslage zeigt, wie prekär die Situation im Land ist. Afghanistan-Expertin Corinne Troxler hat das Update für die SFH-Länderanalyse verfasst. Es zeigt die Hintergründe auf über die lebensbedrohliche Situation der Zivilbevölkerung und der zahlreichen intern Vertriebenen, über ihre zunehmende Verarmung und ihre Schutzlosigkeit zwischen den kaum mehr überblickbaren Feindesfronten. Ein zweites Update zu den Gefährdungsprofilen verdeutlicht die weiterhin schwierige Menschenrechtslage.

Eine Vielzahl von Konfliktparteien

Afghanische Zivilpersonen leiden seit Jahren unter Gewalt durch

  • regierungsfeindlich eingestellte, bewaffnete Gruppierungen einschliesslich Taliban, Haqqani-Netzwerk und dem selbst erklärten «Islamischen Staat» (IS/Daesh),
  • regionale Kriegsherren und Kommandierende von Milizen,
  • kriminelle Gruppierungen und
  • afghanische und ausländische Sicherheitskräfte im Kampf gegen regierungsfeindliche Gruppierungen.

Die afghanischen Sicherheitskräfte sind nicht in der Lage, die eigene Zivilbevölkerung vor Kämpfen und Menschenrechtsverletzungen zu schützen. Heute sind die Taliban im ganzen Land präsent und kontrollieren weitere Gebiete als je seit 2001. Sie sind in einer günstigeren Position als die afghanischen Sicherheitskräfte (Afghan National Defense and Security Forces – ANDSF): Während die ANDSF weite Gebiete, Strassen, Stützpunkte und Aussenposten sichern müssen, können die Taliban ihre Kräfte auf ausgesuchte Ziele konzentrieren, schreibt Corinne Troxler.

Prekäre Situation von Rückkehrenden und IDPs

2018 sind über 800’000 Afghaninnen und Afghanen aus Iran und Pakistan nach Afghanistan zurückgekehrt. Vom 1. Januar bis 10. August 2019 kehrten weitere 293’403 afghanische Geflüchtete aus diesen beiden Nachbarstaaten zurück. Die afghanischen Behörden haben bei weitem nicht die nötigen Kapazitäten, um der hohen Zahl von Rückkehrenden und intern Vertriebenen den notwendigen Schutz und die benötigte Unterstützung bereitzustellen, um ihnen eine sichere Existenz zu ermöglichen.

Rückkehrende werden wegen fehlender Netzwerke in der Regel zu intern Vertriebenen (IDPs). Über 70 Prozent der IDPs berichten über mehrfache Vertreibungen und suchen schliesslich Zuflucht in grösseren Städten. In der Folge lebt heute ein Viertel der afghanischen Bevölkerung in Städten, davon über 70 Prozent, etwa 5 Millionen Menschen, in Slums. Kabul zählt weltweit zu den am schnellsten wachsenden Städten. Den Menschen in den Slums mangelt es an Wasser, Nahrung, medizinischer Versorgung und Bildungsperspektiven.

Abgebrochene Friedensverhandlungen

Während der anfangs hoffnungsvollen Verhandlungen zwischen den USA und den Taliban – allerdings ohne Einbezug der afghanischen Regierung – kam es zu weiteren verheerenden Gewaltakten und Terroranschlägen. Ein Anschlag der Taliban in Kabul am 5. September 2019 soll schliesslich der Auslöser für den zumindest vorläufigen Abbruch der Verhandlungen durch US-Präsident Trump am 7. September 2019 gewesen sein. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die erreichte Friedenslösung aufgrund des Zeitdrucks seitens der USA, die einen Truppenabzug vor den US-Wahlen 2020 anvisiert hatten, für diese zu schwach ausgefallen ist. Es bleibt unklar, was die Beendigung der Friedensgespräche für Afghanistan bedeutet. Expertinnen und Experten gehen jedoch davon aus, dass erneut mit einem Anstieg der Gewalt zu rechnen ist.

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