Ausschaffungen nach Afghanistan unhaltbar

10. Dezember 2019

In diesem Jahr hat die Schweiz mehrere afghanische Asylsuchende in ihr Herkunftsland ausgeschafft, dessen Sicherheitslage seit Jahren äusserst prekär ist. Zwei Parlamentarierinnen haben diesen Montag beim Bundesrat nachgefragt. Aus Sicht der SFH verharmlosen die Antworten die Situation.

Die Ausschaffungen sind Teil der Asylpraxis der Schweiz. Laut Einschätzung der Behörden ist eine Wegweisung in die Städte Kabul, Herat und Mazar-i-Sharif unter sogenannten «begünstigenden Umständen» zumutbar. Darunter wird insbesondere die Existenz eines familiären oder sozialen Netzwerks verstanden. In der Fragestunde hat der Bundesrat dies am 9. Dezember 2019 in den Antworten bekräftigt. Die Parlamentarierinnen wollten wissen, mit welcher Begründung Schutzsuchende nach Afghanistan ausgeschafft werden und ob ihre Sicherheit dort garantiert sei. Dass diese Praxis angesichts der Realität vor Ort unhaltbar ist, moniert die Schweizerische Flüchtlingshilfe SFH seit Jahren.

Nach über 40 Jahren Krieg und Gewalt bleibt die Situation für die Zivilbevölkerung vielerorts in Afghanistan lebensgefährlich. Die Taliban kontrollieren heute so grosse Gebiete wie nie zuvor seit 2001, und die Sicherheitslage verschlechtert sich im ganzen Land. UNHCR schliesst die Stadt Kabul in seinen Richtlinien als interne Fluchtalternative aus. Auch für Personen aus Kabul ist eine Rückkehr dorthin aus Sicht der SFH wegen der weiterhin extrem gefährlichen Lage nicht zumutbar. Die Stadt wird vom selbst erklärten «islamischen Staat» und den Taliban mit einer grossen Zahl von Anschlägen terrorisiert: 2018 war die Bevölkerung dort laut der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen erneut überproportional stark von Selbstmordanschlägen betroffen. Die Anschläge richteten sich gegen die Zivilbevölkerung und gegen die Behörden. Sie wurden in Moscheen, Kirchen, Schulen, Universitäten und in Wahllokalen verübt. Auch 2019 sind zahlreiche Anschläge dieser Art in der Stadt Kabul eine Realität; allein während des Ramadans 2019 wurden in Kabul über 100 Zivilistinnen und Zivilisten getötet.

In den Städten Herat und Mazar-i-Sharif werden Zivilpersonen gezielt ermordet oder fallen Anschlägen zum Opfer. Die Kämpfe zwischen der afghanischen Armee und den Taliban rücken immer näher an die Städte heran. Dies wirkt sich auch auf die sozioökonomische Situation in den Städten aus. Zudem fliehen seit Jahren täglich Menschen vor den Kämpfen in ländlichen Gebieten in die drei Städte. Die städtischen und nationalen Behörden schaffen es seit Jahren nicht, die Grundversorgung dieser Menschen sicherzustellen. Rückkehrende können kaum auf Unterstützung hoffen, selbst wenn sie in der Theorie über ein familiäres oder soziales Netzwerk verfügen. Ihre Angehörigen sind schlicht verarmt, haben selber mit existenziellen Nöten zu kämpfen und müssen bereits für eine grosse Zahl von hilfsbedürftigen Personen sorgen.

Angesichts dieser Situation von «begünstigenden Umständen» zu sprechen heisst, die realen Umstände vor Ort auszublenden. Ein systematisches Monitoring der Situation der ausgeschafften Personen durch die schweizerischen Behörden ist in diesem Zusammenhang nicht nur erwünscht, sondern dringend geboten. Dadurch könnte auch überprüft werden, ob eine Revision der aktuellen Asylpraxis angesichts der Lage vor Ort nicht doch überfällig ist.

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