Krise in Sri Lanka: Verzicht auf Rückführungen, bis sich die Lage stabilisiert hat

15. Juli 2022

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) ist besorgt über die aktuellen Entwicklungen in Sri Lanka. Aufgrund der Wirtschaftskrise sind die Ernährungssicherheit und die medizinische Versorgung der Bevölkerung gefährdet. Die SFH fordert deshalb einen Verzicht auf Rückführungen nach Sri Lanka, bis sich die Lage stabilisiert hat.

Sri Lanka erlebt aktuell die schwerste Wirtschaftskrise seit 75 Jahren und ist seit Mai 2022 zahlungsunfähig. Die wirtschaftliche Krise hat zu Protesten gegen die aktuelle Regierung geführt und das Land in eine politische Krise gestürzt. Der bisherige Präsident hat das Land fluchtartig verlassen. Am 20. Juli 2022 soll eine neue Regierung gebildet werden. Die Menschenrechtslage in Sri Lanka ist seit Jahren besorgniserregend und es ist zum jetzigen Zeitpunkt unklar, wie sich die aktuellen politischen Entwicklungen auf diese auswirken werden.  

Währenddessen hat die Wirtschaftskrise schwerwiegende Auswirkungen auf die Bevölkerung. Grundlegende Produktionsgüter sind nicht verfügbar und die Währung wurde seit März 2022 um 80 Prozent abgewertet. Im Mai 2022 lag die Lebensmittelinflation bei 57,4 Prozent; Grundnahrungsmittel sind für viele Familien unerschwinglich geworden. Die Nahrungsmittelproduktion ist in der letzten Erntesaison eingebrochen und die Erträge der laufenden Agrarsaison sind mangels Geld und Produktionsmitteln gefährdet. Laut dem UNO-Welternährungsprogramm sind rund 38 Prozent der Menschen von einer mässigen bis schweren Ernährungsunsicherheit betroffen. Nahezu fünf Millionen Menschen, das sind 22 Prozent der sri-lankischen Bevölkerung, sind laut UNO derzeit auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen, etwa genauso viele benötigen humanitäre Hilfe. Fast jedes zweite Kind ist davon betroffen.

Die Wirtschaftskrise hat sich zudem dramatisch auf den Zugang zu den Gesundheitsdiensten ausgewirkt. Sri Lanka ist zu über 80 Prozent von importierten Medikamenten und anderen Materialien für seine Gesundheitsdienste abhängig. Nach Angaben der UNO von Anfang Juni 2022 waren fast 200 unentbehrliche Medikamente, sogenannte «essential medicines», und mehr als 2700 unentbehrliche chirurgische und über 250 reguläre Laborartikel nicht mehr vorrätig. Operationen und Eingriffe müssen entsprechend verschoben werden. Nach Erkenntnissen der SFH sind durch die aktuelle Krise medizinische Behandlungen für zahlreiche – auch lebensbedrohende – Erkrankungen beeinträchtigt.

Die SFH ist besorgt über die aktuellen Entwicklungen in Sri Lanka. Aufgrund der Wirtschaftskrise ist die Ernährungssicherheit der Bevölkerung gefährdet. Medizinische Behandlungen von schwer erkrankten Menschen sind zurzeit stark eingeschränkt, was für die Betroffenen lebensbedrohlich sein kann. Der sri-lankische Premierminister ging zuletzt davon aus, dass sich die Lage noch verschlechtern wird und erst Anfang 2023 mit einer Verbesserung zu rechnen ist. Die politische Situation bleibt derweil volatil und die Auswirkungen auf die Menschenrechtslage müssen sorgfältig beobachtet werden. Aus Sicht der SFH ist es nicht angezeigt, Menschen nach Sri Lanka zurückzuschicken, bevor sich die aktuell dramatische Lage nicht wieder deutlich stabilisiert hat. Deshalb fordert die SFH 

  • einen Verzicht auf Rückführungen nach Sri Lanka, insbesondere für vulnerable Personen, bis sich die Lage stabilisiert hat.
  • Die aktuelle Situation ist im Rahmen der Asyl- und Wegweisungsvollzugspraxis zu berücksichtigen. Das SEM muss in jedem Einzelfall sorgfältig prüfen, ob eine Gefährdung vorliegt bzw. ob der Wegweisungsvollzug unzumutbar ist. Im Zweifel ist die vorläufige Aufnahme zu gewähren.