Bundesverwaltungsgericht: komplexe Asylgesuche gehören ins erweiterte Verfahren

19. Juni 2020

Asylgesuche, die vertiefte Abklärungen erfordern müssen gemäss Asylgesetzgebung dem sogenannten erweiterten Verfahren zugeteilt werden. Denn dort besteht mehr Zeit für deren eingehende Prüfung. In der Praxis werden aber komplexe Fälle zu oft im beschleunigten Verfahren geprüft. Jetzt hält das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) erstmals in einem Grundsatzurteil fest, dass das Staatssekretariat für Migration (SEM) unter gewissen Bedingungen verpflichtet ist, sich mehr Zeit für die Prüfung der Asylgründe zu nehmen.

Aus Sicht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe werden zu viele Asylgesuche im sogenannten beschleunigten Verfahren geprüft. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat bereits mehrfach Kritik an der Wahl der Verfahrensart durch das SEM geäussert. Nun tut es dies zum ersten Mal grundlegend und sehr klar: In seinem Grundsatzurteil vom 9. Juni 2020 hält das BVGer fest, dass das SEM die asylsuchende Person im dem Urteil zugrundeliegenden Fall zweimal lange zu seinen Asylgründen angehört hat. Zudem lagen umfangreiche Akten vor, deren Würdigung Zeit in Anspruch nehme. Schliesslich sei auch der Asylentscheid überdurchschnittlich lange ausgefallen. Gekoppelt mit einer Verfahrensdauer von insgesamt knapp drei Monaten, weist dies gemäss BVGer deutlich darauf hin, dass es sich nicht um ein rasch zu erledigendes Asylgesuch handle: «Von einem einfachen Verfahren mit vergleichsweise kleinem Komplexitätsgrad, welches nach der einlässlichen Anhörung keiner weiteren Abklärungen mehr bedarf, kann mithin keine Rede sein.»

Das BVGer-Urteil stärkt die Position von Schutzsuchenden in der Schweiz und bestätigt die Kritik der SFH. Die Beschwerdefrist im beschleunigten Asylverfahren beträgt nur sieben Arbeitstage. Damit ist die Zeit, sich gegen einen mutmasslich falschen Asylentscheid zu wehren aus Sicht der SFH zu knapp bemessen. Wenn nun also ein ‘komplexes’ Asylverfahren fälschlicherweise im beschleunigten Verfahren entschieden wird, verletzt dies gemäss dem BVGer das verfassungsmässige Recht schutzsuchender Menschen auf eine wirksame Beschwerde. Vielmehr müssen diese Personen dem sogenannten erweiterten Verfahren zugeteilt werden. Dort steht mehr Zeit für vertiefte Abklärungen zur Verfügung und die Betroffenen werden ausserhalb der grossen, oft isolierten Bundesasylzentren in den Kantonen untergebracht.

Schliesslich sendet das BVGer noch zwei weitere positive Signale. Zum einen lässt es dem SEM und den weiteren Beteiligten implizit die Möglichkeit offen, sich auch im beschleunigten Verfahren mehr Zeit zu nehmen. So sei es zwar nicht erlaubt, die rund 30 Tage welche für ein beschleunigtes Verfahren vorgesehen sind derart massiv zu überschreiten. Wie die SFH hält aber auch das BVGer fest, dass durchaus Spielraum von einigen Tagen bestünde. Zum anderen hob das Gericht zum Schluss seines Urteils die Bedeutung des Rechtsschutzes in den neuen Asylverfahren hervor: Dieser sei als wichtiger Akteur durch die Parallelität verschiedener Verfahrensschritte und die zeitlich straffe Taktung stark gefordert. Umso wichtiger sei, dass das SEM die gesetzlich vorgesehene Triage im vorinstanzlichen Verfahren sorgfältig vornehme. Ansonsten könne die gesetzgeberische Absicht der Beschleunigung in einem rechtsstaatlich fairen Verfahren nicht gewährleistet werden.