Verschärfte Griechenland-Rechtsprechung: Familien droht Obdachlosigkeit

02. Oktober 2025

Das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) hat mit einem heute publizierten Urteil die Rechtsprechung zur Wegweisung von Familien mit Schutzstatus nach Griechenland verschärft. Obwohl es die schwierigen Bedingungen anerkennt, sieht das Gericht in der drohenden Obdachlosigkeit einer Familie nach ihrer Rückkehr kein Hindernis für eine Wegweisung. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) kritisiert dieses Urteil und fordert, auf die Wegweisung von Familien und vulnerablen Personen nach Griechenland zu verzichten.

Dublin-Überstellungen nach Griechenland werden bereits seit vielen Jahren mehrheitlich ausgesetzt, da das dortige Asylverfahren systemische Mängel aufweist. In Anwendung des bilateralen Rückübernahmeabkommens werden Wegweisungen von Personen mit Schutzstatus jedoch weiterhin vom Gericht bestätigt. Familien mit Kindern waren davon seit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom März 2022 indes in der Regel ausgenommen. 

Für sie wurde die Wegweisung nach Griechenland bislang nur als zumutbar erachtet, wenn günstige Voraussetzungen vorlagen. Mit dem heute publizierten Referenzurteil vom 11. September 2025 verschärft das BVGer seine Rechtsprechung. Familien müssen in Griechenland Anstrengungen unternehmen, um ihre Situation zu verbessern. Der Verweis auf schwierige Aufnahme- und Lebensbedingungen vor Ort reiche nicht aus, damit ein Wegweisungsvollzug unzulässig oder unzumutbar sei.  

Unterbringung als zentrales Problem  

Die SFH kritisiert dieses Urteil. Sie weist darauf hin, dass Personen mit Schutzstatus in Griechenland kaum staatliche Unterstützung erhalten. Wie von Pro Asyl und Refugee Support Aegean (RSA) in jährlichen Berichten dargelegt, bestehen erhebliche Probleme beim Zugang zu Leistungen. Die Situation im Bereich der Unterbringung ist besonders prekär: 30 Tage nach Erhalt eines Schutzstatus sind Personen auf sich gestellt. Der Wohnungsmangel ist insbesondere in grösseren Städten akut, Mietpreise für Flüchtlinge nicht bezahlbar und die administrativen Hürden zudem hoch. Obdachlosenheime sind überfüllt; es ist für Personen mit Schutzstatus praktisch unmöglich, Zugang zu erhalten. Diese würden jedoch ohnehin lediglich eine vorübergehende Lösung bieten und es ist fraglich, ob eine solche Unterbringung kindsgerecht wäre.  

Das Gericht bestätigt denn auch, dass der schwierige Zugang zu einer adäquaten Unterkunft, insbesondere für Familien mit Kindern, nach wie vor ein zentrales Problem für Schutzberechtigte in Griechenland darstellt. Das BVGer sieht jedoch in der sehr wahrscheinlichen Obdachlosigkeit der Familie nach ihrer Rückkehr kein Hindernis für eine Wegweisung. Dies ist aus Sicht der SFH nicht nachvollziehbar, zumal minderjährige Kinder involviert sind.  

Keine Wegweisungen von Familien und vulnerablen Personen 

Die SFH hat bereits mehrfach kritisiert, dass das Bundesverwaltungsgericht in seinen Urteilen bei staatlichen Lücken auf die Möglichkeit der Unterstützung durch Nichtregierungsorganisationen (NGO) vor Ort verweist. Der griechische Staat schränkt die Arbeit von NGO seit einigen Jahren massiv ein, lokale NGO haben mit finanziellen Kürzungen zu kämpfen und arbeiten am Limit ihrer Kapazitäten. In einem Schreiben an die SFH vom Juli 2025, das dem Gericht bekannt ist, haben 14 im Asylbereich tätige griechische NGO ihre Bedenken in Bezug auf die entsprechenden Verweise des Bundesverwaltungsgerichts geäussert und auf ihre beschränkten Ressourcen hingewiesen. 

Die SFH rät von Überstellungen sowohl asylsuchender als auch schutzberechtigter Personen nach Griechenland ab. Angesichts der prekären Situation in Griechenland fordert die SFH, auf Wegweisungen von Familien und vulnerablen Personen generell zu verzichten. Gemeinsam mit RSA wird sie die Lage der Betroffenen weiterhin beobachten und dokumentieren.  

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