SFH kritisiert blinde Flecken der Asylstrategie 2027

28. November 2025

Eine gute Zusammenarbeit von Bund, Kantonen und Gemeinden ist die wichtigste Voraussetzung für ein gut funktionierendes Asylwesen. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) begrüsst daher die im Mandat für die Asylstrategie 2027 enthaltene klare Zustimmung zur Verbundaufgabe sowie das Bekenntnis zum internationalen Flüchtlingsschutz und zum integrationsorientierten Ansatz. Auch begrüsst sie, dass die Schwankungstauglichkeit verbessert, das veraltete Notfallkonzept aktualisiert und das Aufhebungskonzept für den Status S angepasst werden sollen. Gleichzeitig kritisiert sie den starken Fokus auf Abwehr und Defensive: Der Zugang zum Asylverfahren soll erschwert, die Verfahren weiter beschleunigt und die Wegweisung strikter vollzogen werden. Die Asylstrategie 2027 sollte aus Sicht der SFH stärker auch auf den Flüchtlingsschutz setzen, etwa bei der Rechtsungleichheit zwischen Flüchtlingsgruppen und dem erodierenden Schutz der Kriegsvertriebenen. Die irreguläre Migration sollte zudem nicht ausschliesslich als Problem, sondern im Kontext des Arbeitskräftemangels auch als Chance wahrgenommen werden.

In Anbetracht der weiterhin angespannten Lage in Kantonen und Gemeinden und angesichts des aufgeheizten politischen Diskurses misst die SFH der Tatsache, dass Bund, Kantone und Gemeinden gemeinsam an einer Asylstrategie arbeiten und zu diversen Themenfeldern zurück zum Konsens finden, eine grosse Bedeutung bei. Besonders positiv hervorzuheben ist dabei das klare Bekenntniszum internationalen Flüchtlingsschutz, den legalen Zugangswegenundzum Asylsystem, das als Verbundaufgabe mit einer Verantwortungsteilung weitestgehend gut funktioniert. Damit bestätigen die Behörden, dass von einem «Asylchaos» keine Rede sein kann.

Zu enger Fokus lässt wichtige Problemfelder weg

Der vom Bundesrat vorgegebene Fokus der Asylstrategie auf vier bereits vorgängig festgelegte Themenfelder prägt auch das Mandat für die Entwicklung der Asylstrategie, das damit deutlich zu eng gesteckt ist: Es gibt weitere breit anerkannte systemische Mängel, die dadurch aussen vor bleiben – namentlich etwa bei der Gewaltprävention, bei der konsequenten Umsetzung der UNO-Kinderrechtskonvention oder im Bereich der Standards für private Sicherheitsdienstleistungen. Auch der dringende Revisionsbedarf bei der vorläufigen Aufnahme wird nicht angesprochen – dabei ist die Schweiz neben Liechtenstein das einzige Land im Schengenraum, das keinen richtigen Schutzstatus für Kriegsvertriebene kennt.
 

Bessere Einbindung aller relevanten Akteure

Auch in Bezug auf die Akteure fehlt eine Gesamtoptik auf das System: Der Rechtschutz ist ein integraler Bestandteil des Asylsystems, bleibt aber weitestgehend unerwähnt, selbst dort, wo er direkt betroffen ist. Die zentrale und systemrelevante Bedeutung der Freiwilligen, der caritativen Hilfswerke, der Flüchtlingsorganisationen und der flüchtlingsgeführten Organisationen wird von den Behörden anerkannt, aber leider auf Notlagen und soziale Integration reduziert und aufgrund des Betreuungsaufwands durch die Behörden relativiert. Mit Blick nach vorne bräuchte es konkrete Massnahmen, um diese Akteure besser in das Gesamtsystem einzubinden.
 

Status S: Ziel muss Rechtsgleichheit sein

Dass der Status S vertieft geprüft und mit Massnahmen zur Einbettung in das Asyl- und Integrationssystem versehen werden soll, ist folgerichtig und nachvollziehbar. Die Strategie sollte dabei aber die Rechtsungleichheit zwischen dem Status S, der vorläufigen Aufnahme und dem Flüchtlingsstatus ins Zentrum rücken. Die Handlungsachsen und Massnahmen sollten darauf abzielen, diese zu beseitigen und die Statusrechte im Hinblick auf die Integration zu verbessern. Die SFH schlägt zu diesem Zweck einen einheitlichen Humanitären Schutz für Kriegsvertriebene mit der Möglichkeit einer Kollektivaufnahme vor.

Asylverfahren: Rechtschutz stärken

Die SFH begrüsst das Vorhaben, das erweiterte Verfahren zu beschleunigen: Geflüchtete Menschen sollten möglichst rasch einen Entscheid erhalten und nicht in den Kantonen und Gemeinden ohne Integrationsmassnahmen verharren. Damit die angestrebte Verkürzung nicht zu Lasten von Fairness und Rechtsstaatlichkeit geht, die im politischen Mandat zurecht betont werden, braucht es ausserdem mehr Ressourcen für den schon jetzt ungenügend finanzierten Rechtschutz.
Ein zusätzliches vorgelagertes (Asyl-)Verfahren lehnt die SFH hingegen klar ab, da es nicht mit dem Asylrecht vereinbar ist. Dessen Mehrwert ist denn auch nicht ersichtlich: Das geltende Recht erlaubt bereits, auf ausschliesslich wirtschaftlich und medizinisch begründete Asylgesuche nicht einzutreten, um wenig aussichtsreiche Gesuche möglichst schnell zu bearbeiten.
Auch einer Steigerung des Tempos beim beschleunigten Verfahren steht die SFH kritisch gegenüber. Das SEM hat bereits 2024 das 24-Stunden-Verfahren eingeführt. Eine Evaluation der Entscheidqualität steht bei diesem Verfahren indes noch aus und sollte dringend angegangen werden.

Mehr Kapazitäten und flexible Unterbringung nötig

Die SFH begrüsst die Massnahmen im Handlungsfeld Integration sowie die Absicht der drei Staatsebenen ihre Zusammenarbeit zugunsten der Schwankungstauglichkeit zu verbessern. Um die Schwankungstauglichkeit zu gewährleisten und frühzeitige Überstellungen in die Kantone zu vermeiden, empfiehlt die SFH die Bettenkapazität auf Bundesebene auf deutlich über 5'000 dauerhaft nutzbare Plätze zu erhöhen. Der im Mandat angedachte integrationsorientierte Ansatz im Bereich der Unterbringung ist ebenfalls zu begrüssen. Zudem sollten für die Normallage Mindeststandards definiert sowie eine Diversifizierung des Unterbringungsangebotes, inklusive Privatunterbringung bei Gastfamilien, angestrebt werden.

Irreguläre Migration: Asylwesen ist nicht zuständig

Dem Handlungsfeld der irregulären Migration steht die SFH innerhalb der Asylstrategie sehr kritisch gegenüber. Zwar anerkennt sie den Handlungsbedarf, das Asylwesen sollte aber nicht zur Bekämpfung der irregulären Migration genutzt werden, denn dazu wurde es nicht konzipiert. Als besonders gefährlich erachtet die SFH das Bestreben, die auf Wegweisung ausgelegten ausländerrechtlichen Zwangsmassnahmen, wie die Administrativhaft, von ihrem Zweck zu entfremden und als Strafmassnahme zu nutzen.

Die SFH empfiehlt im Bereich der (irregulären) Migration eine separate Strategie zu erarbeiten, bei der auch Migrationsabkommen und -partnerschaften, die internationale Zusammenarbeit sowie der absehbare und bereits vorhandene Fach- und Arbeitskräftemangel berücksichtigt werden. Denn bis in zehn Jahren könnten gemäss einer aktuellen Analyse der Schweizerischen Nationalbank SNB bis zu 400'000 Arbeitskräfte fehlen. Programme wie etwa Spurwechsel in Deutschland, beziehungsweise ein eigenes Fachkräfteeinwanderungsgesetz, könnten alternative Lösungsansätze darstellen.

Hintergrund zur Entwicklung der Asylstrategie

Die Asylstrategie wurde am 5. Juli 2024 von Bundesrat Beat Jans angekündigt mit dem Ziel, fünf Jahre nach der Neustrukturierung des Asylsystems Bilanz zu ziehen, Schwachstellen zu eruieren und Handlungsoptionen aufzuzeigen. Mit dem vorliegenden Mandat definieren die drei Staatsebenen basierend auf einer externen Analyse die strategischen Stossrichtungen für die Ausarbeitung der Asylstrategie 2027 und damit zur Weiterentwicklung des Asylsystems.

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