Interview: Barbara Graf Mousa, Redaktorin SFH
So wie viele junge Afghanen der Hazara-Ethnie musste auch Mohammad Shah Abbasi um sein Leben fürchten. Er lebte mit seiner Familie in Tamaki, einem Dorf in der östlichen Provinz Ghazni (Distrikt Qarabagh). In dieser Gegend wurde die hazarische Zivilbevölkerung immer wieder von den Taliban und anderen fundamentalistischen Organisationen bedroht, terrorisiert und massakriert. Schliesslich flüchtete er über den Iran und die sogenannte Balkanroute in die Schweiz und stellte Ende 2015 im Aufnahmezentrum in Kreuzlingen ein Asylgesuch. Damals suchten auch viele Geflüchtete aus Eritrea, Syrien und Irak Schutz in der Schweiz. Insgesamt stellten 2015 rund 39’500 Menschen ein Asylgesuch, 15 758 mehr als im Jahr 2014. Die unerledigten Gesuche stiegen an. Auch Mohammad Abbasi musste bis 2018 ohne Asylentscheid mit dem N-Ausweis zurechtkommen.
Ablenkung hilft
Der damals 20jährige kam ins Berner Oberland und wurde zunächst in Aeschiried oberhalb Spiez zusammen mit 100 weiteren Asylsuchenden untergebracht. Die Winterzeit habe ihm nicht viel ausgemacht, er sei in seinem Heimatdorf mit Schnee und Kälte aufgewachsen, sagt er rückblickend. «Aber mit so vielen Leuten eng zusammen zu wohnen, das war nicht einfach.» In den Kollektivunterkünften habe man zwar immer Gemeinschaft und man erfahre viel über die Geschichten der anderen Geflüchteten. Manchmal habe man auch Spass zusammen. Oft sei die Stimmung aber unruhig und angespannt.
Auch in der nächsten Unterkunft in Rubigen musste er die Räume manchmal mit bis zu 130 Menschen teilen. Gleichzeitig habe ihn das Warten auf den Asylentscheid sehr belastet: «Es war eine schwierige Zeit für mich. Manchmal hatte ich Angst, dass ich wieder zurück gehen muss.» Doch es gab in der Gemeinde einen Treffpunkt und das habe ihm geholfen. Er kam rasch mit Schweizerinnen und Schweizern in Kontakt. «Wir spielten Memory, Fussball, joggten zusammen, kochten und besuchten uns gegenseitig. Das war eine gute Ablenkung und einfach auch schön, mit neuen Menschen in Kontakt zu kommen», erzählt er.
Ausbildungszeit beginnt
Als Mohammad Shah Abbasi im Jahr 2018 den F-Ausweis bekam, war ihm zunächst nicht bewusst, was dies genau bedeutet: Eine vorläufige Aufnahme ist ein negativer Asylentscheid mit aufgeschobener Wegweisung, bis es wieder zumutbar, zulässig oder möglich würde, die betroffene Person wieder in ihr Herkunftsland zurückzuweisen. «Ich war erstmal froh, nach so langer Zeit einen Entscheid zu bekommen», erinnert er sich. «Ich konzentrierte mich einfach auf die Ausbildungsmöglichkeiten, sagte mir, mach weiter und nutze alle Möglichkeiten, die sich ergeben.»
Er konnte dank der Bürgschaft einer Schweizerin zusammen mit vier Kollegen eine Wohnung mieten, machte Sprachkurse und trat in die Berufsausbildungsschule ein. Seine Lehrerin habe ihn gefragt, was sein Traumberuf sei. «Ich sagte, ich habe keinen Traumberuf, ich mache alles gerne», lacht er. Er schnupperte in einer Gärtnerei, im Strassenbau, in einer Spenglerei, als Automechaniker und -lackierer. Am besten gefiel ihm schliesslich der Bereich der Sanitärinstallation, wo er in einen Lehrbetrieb aufgenommen wurde und eine zweijährige Lehre als Haustechnikpraktiker EBA absolvierte. «Das ist eine vielseitige und interessante Arbeit, wir sind oft draussen auf Baustellen», sagt er. «Natürlich war ich froh, als ich den Lehrvertrag trotz der vorläufigen Aufnahme bekam. Am Anfang war ich recht gestresst, aber ich habe gelernt, dass Stress auch Motivation auslösen kann.»
In der Schweiz zuhause
Mohammad Shah Abbasi ist ein geselliger Mensch, offen für vieles, und so liess er sich von einem Kollegen für die Junge Bühne Bern begeistern. In deren Theaterclubs sind alle junge Menschen ohne Bühnenerfahrung bis 26 Jahre willkommen, für Geflüchtete mit N-, F- und S-Ausweis sind diese Angebote kostenlos. «Das hat viel Spass gemacht und mein Deutsch hat sich rasch verbessert. Ich kann es nur empfehlen, man lernt viele neue Leute kennen.» Er werde jedes Jahr zu einer Aufführung eingeladen, erzählt der inzwischen dreissigjährige Mohammad Shah Abbasi.
Doch heute fehlt ihm die Zeit für das Theaterspielen. Er arbeitet in einer festen Anstellung 100 Prozent und lebt in einer eigenen Wohnung im Berner Mittelland. Vor fünf Monaten ist sein Härtefallgesuch positiv beurteilt worden. Nach knapp zehn Jahren hat er mit der B-Bewilligung ein Bleiberecht erhalten. «Manchmal denke ich, eigentlich bin ich hier aufgewachsen, denn ich habe die wichtigsten Jahre in der Schweiz durchlebt. Ich bin hier erwachsen geworden, ich habe hier meinen Beruf und meine Arbeit gefunden, Freunde und Kollegen, ich bin hier zuhause.»
Mehr Informationen zu Afghanistan:
https://www.fluechtlingshilfe.ch/themen/laenderinformationen/herkunftslaender/afghanistan

