Restriktionen gegenüber Eritreern sind keine Lösung

Sind Rückführungen von äthiopischen Asylsuchenden wirklich dringend?

05. Dezember 2018

Die geplante, noch nicht formell abgeschlossene Vereinbarung zwischen der Schweiz und Äthiopien sieht für die Rückübernahme von abgewiesenen äthiopischen Asylsuchenden eine enge Zusammenarbeit mit dem äthiopischen Geheimdienst vor. Dieser wäre damit beauftragt, betroffene abgewiesene Asylsuchende zu identifizieren.

Von Frederik Kok, Länderexperte SFH

Im April 2018 kündigte das Staatssekretariat für Migration (SEM) an, eine Vereinbarung mit Äthiopien anzustreben, welche Zwangsrückführungen von abgewiesenen äthiopischen Asylsuchenden ermöglichen soll. Diesem Einvernehmen nach kann das SEM mit dem äthiopischen Geheimdienst (National Intelligence and Security Service NISS) im Bereich der Identifikation zusammenarbeiten. Dabei sollen Informationen über abgewiesene Asylsuchende ausgetauscht werden mit dem Ziel, diese zu identifizieren bevor sie rückgeführt werden. Bundesrätin Simonetta Sommaruga präzisierte in der parlamentarischen Fragestunde vom 24. September 2018, dass die Vereinbarung noch nicht formell abgeschlossen ist.

Problematische Zusammenarbeit

In der Schweiz leben um die 300 äthiopische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, deren Asylgesuch abgelehnt worden ist und die in Erwartung einer Ausschaffung leben. 2018 gab es bis dahin zwei zwangsweise Rückführungen und 15 kontrollierte selbstständige Ausreisen nach Äthiopien. Das Verfahren zur Identifikation mit dem äthiopischen Geheimdienst scheint jedoch gemäss einem Bericht in der Wochenzeitung (WoZ) vom 27. September 2018 bereits angewendet zu werden. Im September wurden ein Dutzend Ähtiopier_innen vom SEM vorgeladen zwecks Befragung. Sie wurden allerdings nicht vom SEM befragt, sondern von äthiopischen Behörden, vermutlich von Mitarbeitenden des NISS, so die Recherchen der Wochenzeitung und die Aussagen betroffener Äthiopier_innen.
Gemäss SEM dürfen sich die vom NISS zusammengetragenen Informationen nicht auf die Gründe für ein Gesuch um Asyl beziehen. Doch wie kann der Schutz sensibler Daten garantiert werden, wenn diese Interviews in Amharisch, der offiziellen Sprache Äthiopiens, und – nach Aussagen Betroffener und den Recherchen der WoZ – ohne Übersetzung stattfinden? Nach Bekanntgabe der geplanten Vereinbarung erinnerten die SFH und Amnesty International bereits im April 2018 an die wichtige Rolle, die der NISS bei der Überwachung und den Repressionen gegen äthiopische Oppositionelle auch ausserhalb Äthiopiens spielt. Der Eifer der Schweiz, Zwangsausschaffungen in ein Land durchzuführen, das trotz seiner demokratischen Öffnung in den letzten Monaten noch wenig Garantien für die Einhaltung von Menschenrechten geben kann, ist kaum zu verstehen.

Versprochene Reformen zur Demokratie

Seit seinem Amtsantritt im April 2018 als äthiopischer Premierminister, hat Abiy Ahmed tiefgreifende Reformen angeschoben. Er hat tausende politische Häftlinge freigelassen, die Restriktionen gegen den Gebrauch von Internet und Sozialen Medien aufgehoben sowie politische oppositionelle Gruppen von der Liste terroristischer Gruppierungen entfernen lassen. Ferner hat er sich für Mehrparteienwahlen sowie die äthiopische Diaspora zur Rückkehr aufgerufen. Im Juli 2018 konnte er seinen eritreischen Amtskollegen Isaias Afweki überzeugen, den Krieg zwischen den beiden Ländern offiziell zu beenden.

Trotzdem bleiben die Herausforderungen zahlreich in einem Land mit über 100 Millionen Einwohner, von denen jedoch ein Drittel in extremer Armut leben. Die Restriktionen gegen Bürgerrechtsorganisationen sind noch nicht aufgehoben und das Antiterrorismusgesetz muss noch reformiert werden. Die UNO schätzt, dass seit Juni 2018 über 800’000 Personen ihre Häuser verlassen mussten aufgrund von Spannungen, die hauptsächlich auf territoriale Probleme und auf die unzureichende politische Repräsentation der verschiedenen Minderheiten zurückzuführen sind. Für seinen Umgang mit diesen fundamentalen Problemen steht der neue Premierminister in Kritik. Das Versprechen von freien Wahlen stösst auf die Realität eines Landes, das von einer Koalition von Rebellen kontrolliert wird, der Revolutionären Demokratischen Front des äthiopischen Volkes (EPRDF). Diese ist seit 1991 an der Macht und behält sämtliche Institutionen im Würgegriff.