Der tamilische Journalist Jathurshan Premachandran musste sein Heimatland vor zehn Jahren aus politischen GrĂŒnden verlassen. Heute arbeitet der anerkannte FlĂŒchtling als Jugendarbeiter bei der Stadt Aarau und als Rechtsberater im Bundesasylzentrum Basel.
Jathurshan Premachandran, wie schÀtzen Sie die Menschenrechtslage aktuell ein in Sri Lanka?
Seit dem PrĂ€sidentschaftswechsel bin ich sehr besorgt, wie sich die Menschenrechtslage verschlimmern wird â kehren wir zurĂŒck zu den ZustĂ€nden, als Mahinda Rajapaksa PrĂ€sident in Sri Lanka war*? MĂŒssen wir wieder mit zahllosen EntfĂŒhrungen von Regierungskritikern rechnen? In den letzten Tagen kommen immer wieder Erinnerungen hoch an diese Zeit. Wir fĂŒhlten uns damals unsicher, uns im öffentlichen Raum zu bewegen und unsere Jobs auszuĂŒben. Ich frage mich deshalb auch, ob wir im Westen erfahren, wie die Situation in Sri Lanka tatsĂ€chlich ist? HĂ€ufig berichten Journalistinnen und Journalisten aus Angst nur in abgeschwĂ€chter Form von den wirklichen ZustĂ€nden. Wie ich von Journalisten vor Ort erfahren habe, sind einige von ihnen in den Social Media nicht mehr aktiv.
Was denkt die sri-lankische Bevölkerung ĂŒber den aktuellen PrĂ€sidentschaftswechsel?
Die Mehrheit der Bevölkerung ist der Ăberzeugung, dass der PrĂ€sidentschaftswechsel die Wirtschaft und die Sicherheit stĂ€rken wird. Das Vertrauen in die frĂŒhere Regierung ging nach den TerroranschlĂ€gen im FrĂŒhling 2019 zunehmend verloren. Meiner Meinung nach ist dies jedoch eine unrealistische Hoffnung. Der neugewĂ€hlte PrĂ€sident Gotabaya Rajapaksa sprach in seinen bisherigen Reden nicht ĂŒber mögliche Lösungen fĂŒr die ethnischen Konflikte in Sri Lanka. Er ist sich durchaus bewusst, dass er hauptsĂ€chlich von Singhalesen gewĂ€hlt wurde.
Welche Personen sind besonders gefÀhrdet?
Das sind vor allem Regierungskritiker, wie zum Beispiel Journalistinnen und Journalisten und Personen, die sich fĂŒr Menschenrechte und Demokratie einsetzen, dazu hochrangige Polizisten wie auch gewöhnliche BĂŒrgerinnen und BĂŒrger, die die Rajapaksa-Familie beispielsweise in einer Umfrage kritisiert haben oder an einer Demonstration teilgenommen haben. Angehörige der Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) sowie politisch Inhaftierte sind natĂŒrlich besonders gefĂ€hrdet. Zudem mĂŒssen sich aber auch Tamilinnen und Tamilen, deren Familienmitglieder spurlos verschwunden sind, die deshalb demonstriert hatten und Antworten auf ihre Fragen verlangt hatten, jetzt in Acht nehmen. Wenn dieses Interview in Sri Lanka stattgefunden hĂ€tte, hĂ€tten wir unser GesprĂ€ch wahrscheinlich im GefĂ€ngnis weiterfĂŒhren mĂŒssen!
Was geschieht einem tamilischen Asylsuchenden, der zurĂŒck geschickt wird?
Ich vermute, dass es vermehrt zu Inhaftierungen und Folterungen von zurĂŒckgekehrten Asylsuchenden kommen wird. Seit dem Konflikt mit der Schweizer Botschaft befĂŒrchte ich zudem, dass RĂŒckkehrende aus der Schweiz die Konsequenzen dieser Auseinandersetzung tragen mĂŒssen. Zudem ist die sri-Lankische Regierung sicherlich nicht erfreut ĂŒber das Urteil vom 8. November 2019 des Bundesgerichts, wonach die Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) weder als eine kriminelle noch als eine terroristische Organisation beurteilt wird.
Kennen Sie Beispiele von RĂŒckkehrenden, die inhaftiert oder gefoltert worden sind?
Es gibt leider viele Beispiele dazu und nicht nur aus der Schweiz. KĂŒrzlich «verschwand» ein Tamile mit britischer StaatsbĂŒrgerschaft und wurde gefoltert. Das Beispiel von 2013 aus der Schweiz ist bekannt: Ein abgewiesener Asylsuchender wurde nach der RĂŒckfĂŒhrung am Flughafen von den sri-lankischen Behörden verhaftet und wĂ€hrend eineinhalb Jahren inhaftiert und gefoltert.
Die Regierung plant die Inhaftierungen gezielt. Tamilinnen und Tamilen werden hÀufig nicht bei der Einreise inhaftiert, sondern erst zu einem spÀteren Zeitpunkt, um nicht zu viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Solche Inhaftierungen und Folterungen hat es auch wÀhrend der PrÀsidentschaft von Maithripala Sirisena 2015 bis 2019 gegeben.
Sind Sie und Ihre Familie direkt betroffen?
SelbstverstĂ€ndlich! Deswegen musste ich das Land verlassen und bin seit vielen Jahren von meiner Familie getrennt. Die Ungewissheit, wie sich die Situation in Sri Lanka nun verĂ€ndern wird, ist auch fĂŒr meine Familie sehr belastend. In Krisenzeiten, wie beispielsweise nach den AnschlĂ€gen im FrĂŒhling 2019, verhĂ€ngte die Regierung den Notstand und sperrte Social Media und KommunikationskanĂ€le wie WhatsApp und Viber. Es war fĂŒr mich somit unmöglich, Kontakt mit meiner Familie aufzunehmen. Ich wusste nicht, wie es ihnen ging. Dies auszuhalten war sehr schwierig fĂŒr mich. Ich befĂŒrchte, dass es erneut dazu kommen kann und ich die einzige Verbindung zu meiner Familie verliere.
Die SFH hat am 5. Dezember 2019 einen sofortigen Stopp von RĂŒckfĂŒhrungen nach Sri Lanka und die Sistierung der Migrationspartnerschaft mit Sri Lanka gefordert und das Staatssekretariat fĂŒr Migration (SEM) dazu aufgerufen, die Lage neu zu analysieren. Können wir hier zur Verbesserung der Menschenrechtslage in Sri Lanka noch mehr tun?
Die Migrationspartnerschaft zwischen Sri Lanka und der Schweiz sollte tatsĂ€chlich ĂŒberprĂŒft werden. Leere Versprechungen der sri-Lankischen Regierung genĂŒgen nicht. Eine klare Haltung der Schweiz kann zudem ein gutes Beispiel fĂŒr die internationale Gemeinschaft sein.
Ich hoffe, dass der Konflikt der Schweizer Botschaft mit Sri Lanka eine Lehre fĂŒr die Schweizer Regierung ist. Der Konflikt zeigt gut auf, wie die sri-lankische Regierung vorgeht und wie sie ihre eigenen Interessen vertritt. Aussagen von tamilischen Asylsuchenden, die von den Behörden oft als unrealistisch und wenig glaubhaft eingeschĂ€tzt worden sind, erscheinen nun in einem anderen Licht.
*Mahinda Rajapaksa war von 2005 bis Januar 2015 PrĂ€sident Sri Lankas. 2009 beendete er den BĂŒrgerkrieg gegen die Tamilenrebellen der Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) mit aller HĂ€rte, um die 40â000 Zivilsten kamen ums Leben.
Interview: Barbara Graf Mousa, Redaktorin SFH