Zwei SVP-Motionen, über die National- und Ständerat in der letzten Woche der Herbstsession entscheiden, fordern die Abschaffung des Familiennachzugs für vorläufig Aufgenommene: Vertriebene Menschen, die in der Schweiz den nötigen Schutz vor Krieg und Gewalt finden, sollen damit künftig ihre engsten Angehörigen nicht mehr zu sich holen dürfen. Die SFH lehnt diesen eklatanten Verstoss gegen rechtsstaatliche Grundsätze, Verfassung und Völkerrecht entschieden ab. Das Recht auf Achtung des Familienlebens ist in der Bundesverfassung wie in mehreren von der Schweiz unterzeichneten internationalen Übereinkommen verankert (EMRK, UNO-Pakt II, UNO-Kinderrechtskonvention) und gilt unabhängig von Herkunft und Status.
Bereits heute strenge Bedingungen
Derzeit leben rund 43'000 vorläufig Aufgenommene in der Schweiz. Die meisten von ihnen sind Kriegs- und Gewaltvertriebene, die einen vergleichbaren Schutzbedarf haben wie anerkannte Flüchtlinge. Sie können nicht in ihre Heimat zurückkehren, da sie dort an Leib und Leben bedroht sind durch Krieg und Konflikte, die oft Jahrzehnte andauern. Die Betroffenen bleiben deshalb erfahrungsgemäss langfristig in der Schweiz. Bereits heute müssen sie für den äusserst restriktiv geregelten Familiennachzug hohe Hürden überwinden und strenge sprachliche und finanzielle Bedingungen erfüllen. In den letzten vier Jahren (2020 bis 2023) wurden denn auch im Schnitt nur 108 Bewilligungen pro Jahr für den Familiennachzug von vorläufig Aufgenommen erteilt. Dabei ist der Familiennachzug nachweislich ein wichtiger Faktor für die Gesundheit und begünstigt die Integration, woran auch die Schweiz ein Interesse hat.
Aushöhlung des Schweizer Asylrechts
Mit anderen Vorstössen geht die SVP noch weiter und fordert, dass Kriegsvertriebene gar keinen Schutz und in ihrer Heimat verfolgte Flüchtlinge auch kein Asyl mehr erhalten sollen in der Schweiz, wenn sie auf der Flucht ein sicheres Land durchqueren. Das wäre ein klarer Bruch der Flüchtlingskonvention und zielt auf die vollständige Aushöhlung der Schweizer Asylrechts – faktisch dasselbe Ziel, das die SVP auch mit ihrer sog. Grenzschutzinitiative verfolgt. Mit dem demokratischen Schweizer Rechtsstaat und seiner humanitären Tradition ist das nicht vereinbar – und in der Praxis gar nicht umsetzbar. Hinzu kommt, dass das Asylgesetz bereits heute die Möglichkeit vorsieht, Geflüchtete in einen (Dublin-) Staat zu überstellen, der für die Durchführung des Asyl- und Wegweisungsverfahrens zuständig ist, oder auf ein Asylgesuch nicht einzutreten, wenn die geflüchtete Person z.B. in einen sicheren Drittstaat zurückkehren kann. Das wird in der Praxis auch so gehandhabt.
Solidarität wird torpediert
Schliesslich verlangt die SVP auch, dass Asyl- und Wegweisungsverfahren nur noch in Transitzonen an der Schweizer Grenze durchzuführen sind. Die gesamte Verantwortung für Unterbringung und Verfahren soll also einseitig auf die Grenzkantone abgewälzt werden. Damit torpediert die SVP gezielt das Schweizer Asylsystem, das auf Solidarität beruht und deswegen funktioniert, weil sich Bund, Kantonen und Gemeinden Aufgaben, Lasten und Verantwortung teilen. Die Umsetzung der Forderung würde zudem die systematische Eingrenzung oder Internierung von Geflüchteten ohne konkrete Haftgründe und nur aufgrund ihrer Fluchtumstände bedingen. Das stellt einen unverhältnismässigen Eingriff in die persönliche Freiheit dar, der weder mit dem Rechtsstaat noch mit der Bundesverfassung und den völkerrechtlichen Vorgaben vereinbar ist.
Eliane Engeler
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