Von Virginie Jaquet, Redaktorin SFH
Fast wöchentlich berichten die Medien über tragische Schiffbrüche von überfüllten Booten mit Migrierenden und Schutzsuchenden aus Libyen oder Tunesien im Mittelmeer. Häufig kommt auch die kritische Lage auf der Insel Lampedusa zur Sprache. Den Statistiken der Europäischen Union zufolge wurden 2022 in den EU-Mitgliedstaaten mehr als 870’000 Asylgesuche gestellt, fast 78’000 davon in Italien. 2023 dürfte diese Zahl weitaus höher liegen und sich den Rekordzahlen von 2015 bis 2016 annähern. Vor diesem Hintergrund war Lampedusa letztes Jahr mit einer starken Zunahme geflüchteter oder migrierter Menschen konfrontiert. Gemäss einer Meldung der Nachrichtenagentur Reuters von September 2023 erreichten seit Jahresbeginn über 118’000 Menschen die Küsten Italiens, doppelt so viele wie im Vorjahr. In derselben Meldung erklärte der Polizeichef von Lampedusa, dass sich im September 2023 etwa 2’800 Schutzsuchende und Migrierte im Aufnahmezentrum der Insel aufhielten, das offiziell für rund 400 Personen ausgelegt ist. Hinzu kommen weitere 300 Personen in anderen Teilen der Insel.
Ein erster Zufluchtsort mit wenig Freiheiten
Nach der Fahrt über das Mittelmeer kommen die schutzsuchenden Menschen auf Lampedusa an und finden sich in einem Aufnahmezentrum wieder, dem sogenannten Hotspot. Derzeit wird dieses Zentrum vom italienischen Roten Kreuz verwaltet, erklärt Felice Rosa, Koordinator im Lampedusa-Sitz des Vereins Maldusa, auf Anfrage der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH). Maldusa ist ein Verein, der auf Lampedusa, aber auch in Palermo auf Sizilien tätig ist. Er setzt sich für die Bewegungsfreiheit ein und will die Solidarität mit Schutzsuchenden und Migrierenden verbessern (siehe Kasten unten). Felice Rosa erklärt, dass durch die Schutzsuchenden in der Regel nur einige Tage im Aufnahmezentrum bleiben und dann in andere Zentren des Landes verlegt werden, seit das italienische Rote Kreuz die Verwaltung des Hotspots übernommen hat.
Die Situation an diesem ersten Zufluchtsort auf europäischem Boden ist jedoch alles andere als einfach. Felice Rosa weist auf eines der aktuellen Probleme hin: «Der Hotspot von Lampedusa hat sich in ein geschlossenes Zentrum verwandelt. Er wird rund um die Uhr von Soldatinnen und Soldaten bewacht.» Dies sei eine der bedauerlichsten Entwicklungen bei der Aufnahme von schutzsuchenden Menschen auf der Insel in den letzten Jahren. Er ergänzt ferner, dass die Menschen, die sich im Zentrum aufhalten, keine Möglichkeit haben, dieses zu verlassen. «Manchmal verbringen die Menschen mehr als 48 Stunden im Zentrum, was de facto einer Inhaftierung gleichkommt, ohne die Möglichkeit, alternative rechtliche Unterstützung zu erhalten», erklärt er.
Besorgniserregende Situation von schutzsuchenden Kindern
Vulnerable Personen müssten nach ihrer Ankunft auf Lampedusa in spezielle Zentren verlegt werden, die allerdings nur über eine begrenzte Anzahl Plätze verfügen. Dem italienischen Asylsystem fehlt es schlicht an Infrastruktur und Mitteln. Die SFH weist in mehreren auf ihrer Website veröffentlichten Berichten und Meldungen auf diese Unzulänglichkeiten hin. Diese Situation könnte sich in Zukunft noch weiter verschlechtern. Denn die rechtsextreme Politikerin Giorgia Meloni, die seit Oktober 2022 Präsidentin des italienischen Ministerrats ist, hat sich nicht für eine bessere Betreuung von schutzsuchenden Personen in Italien ausgesprochen. Im November 2023 erklärte sie sogar, die Asylverfahren nach Albanien auslagern zu wollen.
Ein weiteres Beispiel für die Lücken des italienischen Asylsystems: Kinder, die zu den vulnerablen Personen zählen, können nicht angemessen betreut werden. «Letzten Sommer sind beinahe 400 Minderjährige über mehrere Monate im Hotspot auf Lampedusa geblieben», prangert Felice Rosa an.
Wird die Zukunft fĂĽr schutzsuchende Menschen besser?
Die Perspektiven für schutzsuchende Menschen, die auf Lampedusa eintreffen, dürften somit schwierig bleiben. 2024 wird das Engagement insbesondere von nichtstaatlichen Organisationen wie Maldusa für eine stärkere Solidarität mit geflüchteten und migrierten Menschen auf der Insel weiterhin unverzichtbar sein. Der Verein wird weiter über die Zustände im Hotspot auf Lampedusa berichten und die neueingetroffene Menschen mit Informationen und Ressourcen unterstützen.
Die Organisation Maldusa
Der Name «Maldusa» rührt von einem Notruf her, der bei Alarmphone einging und in dessen Verlauf die Personen an Bord erklärten, dass ihre Destination «Maldusa» sei. Als die Person am Telefon nachfragte, ob es sich um Malta oder Lampedusa handle, meinte der Anrufer, dass es sich weder um Malta noch um Lampedusa, sondern um Maldusa handle. Die Organisation ist auch in Palermo auf Sizilien tätig.
Nach Ansicht von Maldusa sollten die im Bereich Flucht und Migration tätigen Organisationen ihre Prioritäten laufend hinterfragen. Das Ziel sollte sein, Orte der Solidarität und des gemeinsamen Handelns zu schaffen, die horizontal und von allen gemeinsam aufgebaut werden.
Weitere Informationen finden Sie auf der Website.