Ein fahrlässiges Eritrea-Urteil

12. Juli 2018

Das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) heisst den Wegweisungsvollzug eines eritreischen Asylsuchenden in seine Heimat gut, obwohl es davon ausgeht, dass ihm dort verbotene Zwangsarbeit droht. Die SFH kritisiert diesen Entscheid scharf. Aus ihrer Sicht lässt die ungenügende Informationslage zur Situation in Eritrea, die das Gericht selbst anerkennt, ein solch weitreichendes Urteil nicht zu. Es stützt sich auf Mutmassungen statt auf gesicherte Informationen. Dem Schutzgedanken des Asylrechts wird damit nicht ausreichend Rechnung getragen.

Bundesverwaltungsgericht bestätigt Wegweisungsvollzug nach Eritrea trotz drohender Zwangsrekrutierung in den Nationaldienst

Nach wie vor gibt es kaum gesicherte und zuverlässige Informationen zur Situation in Eritrea und zu den Verhältnissen im eritreischen Nationaldienst. Das BVGer zeigt im Urteil detailliert auf, wie unklar die Informationslage ist. Auch die Fact-Finding-Missions liefern laut Gericht keine verlässlichen Informationen, zumal diese vorab von diplomatischen Quellen, Regierungsmitgliedern oder regierungsnahen Personen stammen. Trotzdem fällt das Gericht einen Grundsatzentscheid, der weit über den Fall des 21jährigen Beschwerdeführers hinausreicht: Es kommt zum Schluss, dass die Zwangsrekrutierung in den unbefristeten eritreischen Nationaldienst nach der Rückkehr keine relevante Gefährdung darstellt. Der Vollzug der Wegweisung ist laut Gericht dann zulässig und zumutbar.

Argumentation juristisch nicht haltbar

Das BVGer kommt im Urteil zwar zum Schluss, dass die auf unabsehbare Zeit zu verrichtende Arbeit im unbefristeten Nationaldienst als verbotene Zwangsarbeit im Sinn von Art. 4 Abs. 2 EMRK zu qualifizieren ist. Das sei jedoch kein Grund, vom Wegweisungsvollzug abzusehen, da das Zwangsarbeitsverbot nicht ausreichend «krass» verletzt werde. Denn zum einen müssten die unverhältnismässig harten Arbeitsbedingungen auch im Kontext des sozialistischen eritreischen Wirtschaftssystems und der herrschenden Staatsdoktrin betrachtet werden. «Eine solche Argumentation ist höchst fragwürdig und juristisch nicht haltbar: Verbotene Zwangsarbeit muss in jedem Fall zwingend ein Refoulementverbot zur Folge haben», sagt Peter Meier, Leiter Asylpolitik SFH.

Zum andern zeigt sich das Gericht überzeugt dass es bei der verbotenen Zwangsarbeit im eritreischen Nationaldienst zu Misshandlungen und sexuellen Übergriffen gegen weibliche Dienstleistende kommt. Doch sei «nicht hinreichend dokumentiert», dass diese Misshandlungen „flächendeckend“ sind. Damit verlangt das BVGer den Beleg für ein systematisches Risiko, der von den betroffenen Personen unmöglich erbracht werden kann. Der Schutzgedanke rückt so in den Hintergrund. Dafür weicht das Gericht vom Untersuchungsgrundsatz ab und überträgt dem betroffenen Eritreer faktisch die Beweislast. Das BVGer nimmt damit bei nationaldienstpflichtigen Eritreerinnen und Eritreern bewusst das Risiko von Misshandlungen in Kauf.

Widerspruch zur EGMR-Rechtsprechung

Mit Verweis auf das eigene Referenzurteil vom 30. Januar 2017 ignoriert das BVGer auch das Risiko einer Inhaftierung aufgrund der illegalen Ausreise des Beschwerdeführers – und eine allfällige damit verbundene Verletzung des Folterverbots (Art. 3 EMRK). Dies widerspricht der jüngsten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte.

Ungerechtfertigte Praxisverschärfung

Neben der Tatsache, dass der Schutzbedarf der betroffenen Person vom Gericht nicht in genügender Weise Rechnung getragen wurde, sind Zwangsrückführungen nach Eritrea auch nicht durchführbar. Die SFH stellt fest, dass die Schweiz mit dieser ungerechtfertigten Praxisverschärfung weiter geht als alle anderen europäischen Ländern. Dies ist nicht nur aus einer menschenrechtlichen Perspektive äusserst bedenklich, sondern führt auch zu einer wachsenden Anzahl von Personen, die in der Nothilfe landen und damit in einer äusserst prekären Situation leben müssen.

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