Das SFH-Angebot über Zwangsmigration hat in der Oberstufe von La Neuveville Tradition

22. August 2019

Jaques Diacon ist Vizedirektor an der Oberstufe von La Neuveville, einer französischsprachigen Kleinstadt am Bielersee mit 3800 Einwohnerinnen und Einwohnern. Seit 23 Jahren greift er auf das Fachwissen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) zurück, um seine Schülerinnen und Schüler für das Thema Zwangsmigration zu sensibilisieren.

Text und Foto: Karin Mathys, Redaktorin Schweizerische Flüchtlingshilfe SFH

Das Sensibilisierungsangebot «Flucht – Asyl – Integration» der SFH steht an Ihrer Oberstufe am Ende der Pflichtschulzeit auf dem Programm. Es ist für Schülerinnen und Schüler der 9., 10. und 11. Klassen (HarmoS), gedacht. Insgesamt durchlaufen 170 bis 230 Jugendliche je nach Jahrgang das SFH-Angebot. Wofür werden diese jungen Menschen sensibilisiert?

Sie erfahren, wie es Menschen ergeht, die gezwungen sind, ihr Herkunftsland zu verlassen – von der Flucht bis zu ihrer Ankunft in einem sicheren Land. Die Umstände und Beweggründe der Flucht werden dabei ebenso behandelt wie die Möglichkeiten der Integration im Gastland. Workshops, Erfahrungsberichte von Flüchtlingen und das Simulationsspiel «Stationen einer Flucht» bilden dabei den pädagogischen Rahmen, sodass die Jugendlichen regelrecht in das Thema Zwangsmigration eintauchen.

Warum wird die SFH für die Organisation dieser Aktivitäten beauftragt?

Die Jugendlichen sind persönlich betroffen, nachdem sie beim Simulationsspiel «Stationen einer Flucht» mitgemacht und den Erfahrungsbericht eines Geflüchteten gehört haben. Dieses SFH-Angebot ist deshalb so stark, weil Personen teilnehmen, die Flucht, Krieg und Verfolgungen tatsächlich erlebt haben. Die dargestellten Ereignisse können nicht von Lehrpersonen vermittelt werden. Sie hätten weder dieselbe Glaubwürdigkeit noch dieselbe Aussagekraft. Man benötigt zum einen Fachpersonen der Thematik und zum anderen Personen, die selbst Opfer waren, um das Spiel realitätsgetreu zu gestalten. Nur sie können bei den Jugendlichen etwas auslösen.

Kommt es vor, dass Jugendliche, die selbst eine Zwangsmigration erleben mussten, sich in dem Simulationsspiel wiederfinden?

Ja, das kommt vor. Sie haben stets die Möglichkeit, das Spiel sofort zu beenden, falls die Emotionen zu stark sind. Einige sagen sich aber auch: «Meine Kollegen werden die Erlebnisse meiner Familie nun endlich verstehen». Das ist dann ein sehr grosser Moment für sie.

Wie wurden die Aktivitäten der SFH an Ihrem Oberstufe eingefügt?

Vor 23 Jahren hatte uns der Kanton Bern ein Schreiben über die Aktivitäten der SFH zukommen lassen. Darin wurde das Sensibilisierungsangebot der SFH für das Thema Zwangsmigration in Schulen vorgestellt. Ich war damals Lehrer und ich habe dem Kollegium vorgeschlagen, diese Aktivität zweimal an zwei Tagen zu organisieren, um alle unsere Jugendlichen zu erreichen. Wir waren uns im Lehrerkollegium einig und das Projekt konnte lanciert werden. Dann mussten wir ein Finanzhilfegesuch bei der öffentlich-rechtlichen Trägerschaft stellen und für die Umsetzung des Projekts argumentieren. Die erste Umsetzung war ein grosser Erfolg; daher haben wir uns entschlossen, unsere Zusammenarbeit mit der SFH in einem 3-Jahres-Rhythmus fortzusetzen. Diese Sensibilisierungsaktivitäten zur Zwangsmigration sind heute in grösserem Umfang im Lehrplan der Oberstufe des Bezirks La Neuveville enthalten.

Bedeutet das, dass die Thematik«Zwangsmigration»in das Schulcurriculum integriert ist?

Ja, sie wurde in die Schulfächer Geschichte und Geografie sowie in eine Unterrichtsstunde mit dem Titel «Allgemeinbildung» aufgenommen. Pro Woche können die Klassenlehrerinnen und Klassenlehrer eine freie Stunde einsetzen, um die Schülerinnen und Schüler für verschiedene Themen zu sensibilisieren. Das Thema Zwangsmigration wird vor und nach dem von der SFH moderierten Tag «Flucht – Asyl – Integration» behandelt. So ist das Projekt mit der SFH Teil eines Prozesses und löst sich nicht in einer «Blitzaktion» wieder auf.

Wie relevant und wie nützlich ist ein solches Sensibilisierungsangebot für die Prävention und für das Zusammenleben?

Um Finanzhilfe von der Stiftung éducation21 zu erhalten, müssen wir diesen Tag mit den Beteiligten auswerten. Das Feedback ist stets sehr positiv. Auf die Frage «Würdest du diesen Tag einem Freund empfehlen?» antworteten beispielsweise die meisten Schülerinnen und Schüler mit «Ja»! Daher sind die Lehrpersonen seit über 20 Jahren davon überzeugt und wiederholen das Angebot gerne. Im Laufe der Zeit ist es in unserer Region zu einer Art Tradition geworden. Die jungen Leute wissen, dass sie den Aktivitäten der SFH irgendwann in ihrer Schulzeit begegnen werden: Sie haben positives Feedback vom grossen Bruder oder der grossen Schwester bekommen, die bereits an diesem Programm teilgenommen haben.

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