Vor dem Krieg fliehen und eine neue Familie ins Herz schliessen

Tetiana und ihre Familie flohen Anfang 2022 vor dem Krieg aus der Ukraine. Bei ihrer Ankunft in der Schweiz wurden sie direkt von Pascale und ihrem Ehemann in deren Zuhause aufgenommen. Zwei Jahre lebten die beiden Familien unter einem Dach – eine Zeit, in der eine enge Freundschaft entstand.

Tetiana Hyrn ist 44 Jahre alt. Sie kommt aus Sumy, einer Stadt in der Ukraine, wo sie als Buchhalterin gearbeitet hat. Im April 2022 kam sie gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihren drei Söhnen in die Schweiz. Der Moment ihrer Flucht hat sich tief in ihr Gedächtnis eingebrannt: «Am frühen Morgen des 24. Februar erfuhren wir durch Anrufe von Angehörigen, dass der Krieg begonnen hatte. Noch am selben Tag rückten russische Truppen in meine Stadt ein und die Kämpfe begannen.» Tetiana hoffte damals noch auf ein rasches Ende des Krieges, doch ihre Stadt wurde von der russischen Armee eingekesselt. «Kampfflugzeuge flogen über die Stadt und warfen Bomben ab. Die wenigen Läden, die noch offen waren, hatten kaum noch Lebensmittel. Unsere Kinder blieben einen ganzen Monat lang in der Wohnung, nach draussen zu gehen, war zu gefährlich.» Tetianas Sorge um ihre Kinder wurde immer grösser. In Sumy zu bleiben, wurde zunehmend zur Gefahr.

Sobald sich die Möglichkeit ergab, die belagerte Stadt zu verlassen, entschied sich Tetiana mit ihrer Familie zur Flucht. «Wir gingen von höchstens zwei bis drei Monaten aus. Unsere Soldaten brachten uns in eine sicherere Stadt. Von dort aus fuhren wir mit dem Zug nach Lwiw. Danach reisten wir mit Freiwilligen in einem Bus weiter bis in die polnische Stadt Przemyśl, in ein Flüchtlingslager. In diesem Lager waren viele Freiwillige aus verschiedenen Ländern tätig, darunter auch aus der Schweiz.» Tetiana wusste zu diesem Zeitpunkt nur wenig über die Schweiz. «Ich wusste nur, dass es eines der schönsten und sichersten Länder der Welt ist.» Freiwillige brachten Tetiana, ihren Ehemann und ihre Kinder in einem Bus nach Freiburg. Dort wurden sie sofort von Pascale und Patrick Mayor in deren Zuhause aufgenommen. Das Schweizer Ehepaar half der Familie, das Land zu verstehen und sich einzuleben. Tetiana erinnert sich, wie viel Zeit sich Pascale und Patrick für ihre Familie genommen haben: «Sie nahmen uns mit in den Wald, in die Berge, an Seen und haben uns ihren Freunden und ihrer Familie vorgestellt. Ohne die beiden hätten wir es damals sehr schwer gehabt. Ihre Unterstützung war unglaublich wichtig.»

Auch Pascale erinnert sich noch ganz genau an die Ankunft der ukrainischen Familie: «Ich habe dieses Bild vor Augen, Tetianas Familie im Obergeschoss unseres Hauses, wie sie die Zimmer entdecken. Das war so berührend und bewegend. Jeder von ihnen hatte nur eine kleine Tasche dabei, sie hatten kaum etwas mitgebracht. Man sah ihnen an, wie überrascht und wie verunsichert sie verständlicherweise auch waren, plötzlich bei einer völlig fremden Familie zu landen.» Das gemeinsam Erlebte, die vielen Emotionen, haben die beiden Familien stark zusammengeschweisst. «Durch das tägliche Zusammenleben ist eine Freundschaft zwischen uns entstanden. Tetiana und ich freuen uns jedes Mal, wenn wir uns wiedersehen. Wir treffen uns auf einen Kaffee oder eine Kleinigkeit zu essen und tauschen uns darüber aus, wie es uns gerade geht», erzählt Pascale.

Mittlerweile hat sich Tetiana an das Leben in der Schweiz gewöhnt, das war jedoch nicht immer so. «Im ersten Jahr hier in der Schweiz habe ich noch gehofft, bald in die Ukraine zurückkehren zu können. Deshalb habe ich die französische Sprache nicht richtig gelernt. Doch dann wurde mir klar, dass der Krieg nicht so schnell enden wird und dass ich mir hier ein Leben aufbauen muss.» Tetiana machte ein dreimonatiges Praktikum in einer Bäckerei. Ende 2023 begann sie ein Praktikum im Caritas-Markt, wo sie noch heute arbeitet. «Es kommen viele ukrainische Geflüchtete zu uns in den Laden. Ich freue mich, ihnen helfen zu können. Die meisten verstehen kein Französisch, vor allem die älteren Menschen.» Auch ihr Mann hat eine Arbeit gefunden und die Kinder fühlen sich in der Schweiz wohl: «Sie gehen gerne zur Schule und spielen gerne Fussball. Die französische Sprache fiel ihnen leicht, sie lernen und kommunizieren problemlos. Sie sind glücklich.» Für Tetiana hat die Sicherheit ihrer Kinder oberste Priorität. Und sie freut sich, heute finanziell unabhängig zu sein. Trotzdem ist die Zukunft ungewiss: «Mit dem Status S wird uns nur vorübergehend Schutz gewährt, wir wissen nicht, ob er verlängert wird. Ich möchte meinen Kindern die Möglichkeit bieten, in der Schweiz zu leben und zu studieren. Selbst wenn der Krieg bald endet, hat die ukrainische Wirtschaft grosse Probleme, und das Risiko einer zweiten russischen Invasion bleibt bestehen.»

Tetiana ist immer sehr gerührt, wenn sie darüber spricht, wie Pascale und Patrick sie unterstützt haben: «Die beiden haben ein grosses Herz. Ohne sie hätten wir es wahrscheinlich nicht geschafft. Ich bin so dankbar, dass es Menschen wie sie auf der Welt gibt. Sie haben uns zwei Jahre lang unterstützt – und wir sind zu fünft, das ist schon ein grosse Familie. Sie sind für uns mehr als nur Freunde geworden, vielleicht sogar mehr als Verwandte. Ich werde ihnen mein ganzes Leben lang für ihre Hilfe dankbar sein.» Pascale ergänzt: «Tetiana und ihre Familie haben uns auch gelehrt, dass unser Impuls, sie aufzunehmen, letztlich eine Welle der Solidarität ausgelöst hat. Die Menschen im Dorf haben alle auf ihre Weise mitgeholfen. Einige brachten Kleidung, mein Bruder lieh uns Velos, meine Tante ein Trottinett. Es war schön zu sehen, wie sehr die Menschen Anteil genommen haben an dem, was bei uns zuhause geschah.»

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