Das Netzwerk aktivieren für den Wiederaufbau im Heimatland

Die Ukrainerin Maryna Homenyuk lebt mittlerweile über ein Jahr zusammen mit einem Schweizer Paar in der Nähe von Fribourg. Was sind ihre Zukunftspläne?

Interview: Barbara Graf Mousa, Redaktorin Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH)

Maryna Homenyuk, du lebst seit über einem Jahr bei einer Gastfamilie in der Schweiz. Wie geht es dir heute?

«Hier zu sein ist für mich eine Herausforderung und eine Chance zugleich. Ich entwickle mich beruflich weiter und lerne Französisch. Inzwischen habe ich mich selbstständig gemacht als Beraterin für Projekte auch in der Ukraine. Ich habe in meinem Heimatland ein Jurastudium absolviert und auch einen Universitätsabschluss in Soziologie gemacht. Dank meiner Arbeitserfahrung in der Ukraine kann ich über ein umfangreiches Netzwerk zu den wichtigsten ukrainischen Nichtregierungsorganisationen und Bildungseinrichtungen sowie zu Behörden von verschiedenen Ministerien anbieten. Ich möchte diese Fähigkeiten, die ich aus der Ukraine mitgebracht habe, nutzen, und hier in der Schweiz neue Kenntnisse und Erfahrungen sammeln. Mein Ziel ist es, den Menschen zu helfen und ihr Leben zum Besseren zu verändern.»

Magst du kurz zurückblicken, wie das vor einem guten Jahr war für dich?

«Als der Krieg in der Ukraine begann, beschloss ich, Kiew mit dem Evakuierungszug zu verlassen, die Stadt, in der ich vor eineinhalb Jahren lebte und an der Business School kmbs arbeitete. Den ersten Monat lebte ich in der Wohnung meines Freundes in Spanien und arbeitete weiter aus der Ferne. In der ersten Kriegswoche kündigte die Berner Fachhochschule ein Unterstützungsprogramm für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Mitarbeitende wissenschaftlicher Einrichtungen aus der Ukraine an. Etwa hundert meiner Kolleginnen und Kollegen an verschiedenen Universitäten in der Ukraine erhielten dieses Programmangebot der BFH. Ich bekam eine Zusage und damit auch eine enorme Unterstützung durch das Team der BFH: einen Arbeitsplatz, technische Unterstützung und sichere und komfortable Lebensbedingungen bei einer Schweizer Gastfamilie. Es war sehr wichtig und eine grosse Hilfe für mich, an einem sicheren Ort und in einem professionellen Umfeld zu sein.»

Bis heute engagierst du dich in verschiedenen ukrainischen Menschenrechtsorganisationen und Medien der ukrainischen Gemeinschaft, warum?

«Wir Ukrainer haben eine starke Verbindung zu unserem Land, zu unserer Kultur und zu unserer Familie. Für mich sind das wichtige Werte. Auch wenn ich nicht in der Ukraine bin, möchte ich immer in Verbindung mit dem Land sein und mithelfen bei der Entwicklung und beim Wiederaufbau. Das tue ich meiner Familie, den Menschen, die jeden Tag für die Freiheit der Ukraine kämpfen, und mit selbst zuliebe. Ich suche bewusst nach solchen Gelegenheiten und es ist interessant zu beobachten, was dies in mir bewirkt. Ich mache so gleichzeitig eine Art Selbstbeobachtung und Selbstreflexion.»

Die meisten jüngeren Ukrainerinnen und Ukrainer, die in der Schweiz eine Ausbildung, ein Studium oder einen Job haben, scheinen es vorzuziehen, hier zu bleiben und zuerst ihre Ausbildung oder Schule zu beenden. Das beunruhigt den ukrainischen Staat - was sagst du dazu?

«Das kann ich natürlich sehr gut nachvollziehen. Es ist so vieles zerstört worden und muss erst wieder aufgebaut werden, auch unsere Bildungseinrichtungen, Universitäten und so weiter. Aber ich denke, die meisten von ihnen wollen zurückkehren und sich am Wiederaufbau beteiligen. Ich glaube, alle möchten einfach ein Leben in Freiheit, Frieden und Wohlstand im Heimatland, sie möchten ihr Leben dort fortzusetzen, wo es unterbrochen wurde. Es bleibt die Frage, aber wann?»

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